Geschichten aus der Nachwendezeit

In diesem Schwerpunktbereich von solidaritaetsgeschichten.de geht es um biografische Erzählungen aus der Zeit nach der „Wende“, um die 1990er Jahre. Diese Geschichten stehen in einem Spannungsfeld zwischen Erfahrungen von Selbstermächtigung und erfolgreichem Kampf um die Gestaltung der eigenen Gesellschaft auf der einen Seite und Erlebnissen von Entsolidarisierung und Hilflosigkeit gegenüber oft selbstgewählten Mächten sowie enthemmtem Nationalismus und Rassismus auf der anderen. Die Interviews wurden im Rahmen des Forschungsprojekts „Zusammenhalt und Ressentiment in Krisenzeiten: Erinnerungen an die Wende- und Nachwende-Zeit im Ost-West-Vergleich“ am Berliner Standort des Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) geführt.

Der Bereich ist im Aufbau und wird sukzessive mit Interviews gefüllt.

Das Projekt fragt nach den Erzählungen von Zusammenhalt und Solidarität, aber auch Ressentiment in den Umbruchserinnerungen. Welche Narrative von Zusammenhalt oder dessen Erosion bestimmen die Erinnerung an Wende- und Nachwendezeit? Welche Formen der Einschließung und Ausgrenzung zeichnen sich in diesen Geschichten ab?

Im Projekt wurden fünf Schwerpunkte gesetzt, denen eins gemeinsam ist: es sind Perspektiven auf die Nachwendezeit, die in der großen Erzählung vom Erfolg der Wende und der Wiedervereinigung nur am Rande, wenn überhaupt, vorkommen. In der DDR war die Wendezeit zwischen Mauerfall 1989 und Volkskammerwahl 1990 bei vielen mit der Euphorie verbunden, Gesellschaft endlich selbst gestalten zu können – in der Hoffnung auf einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und real existierendem Sozialismus. Die Nachwendezeit dagegen wurde vielfach als krisenhafter Umbruch empfunden, in dem politischer und sozialer Orientierungsverlust, Arbeitslosigkeit, das Gefühl des Überflüssig-Seins, erstarkender Nationalismus und Rassismus präsent waren. Daraus erwuchsen verschiedene und teils konträre Vorstellungen von Zusammenhalt. Weitgehende Einigkeit herrscht(e) lediglich in Bezug auf ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Institutionen, das sich in erster Linie der Staatssicherheit sowie der Treuhand verdankte. Das Projekt analysiert anhand der verflochtenen Kategorien Partizipation und Zugehörigkeit, Identität, Arbeit, Inklusion und Exklusion den Widerspruch zwischen dem demokratischen Selbstbewusstsein der Wendezeit und der heute im Osten diagnostizierten Demokratiedistanz.

Zu den von uns befragten Gruppen gehörten zum einen Menschen, die von der großflächigen Deindustrialisierung im Osten des Landes betroffen waren, wir haben hier unter anderem mit Leuten in Bischofferode und Freital gesprochen. Wir interessierten uns aber auch für die Erinnerungen von ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter*innen, die oft die ersten waren, deren Arbeitsstelle gekündigt wurde. Außerdem fragten wir nach den Geschichten von Menschen, die als Juden und Jüdinnen die Nachwendezeit erlebt haben, und schließlich haben wir auch Leute interviewt, die als Linke jene auch als „Baseballschlägerjahre“ bekannte Zeit massiver nationalistischer Radikalisierung und Gewalt erlebten.

Die Leitfragen des Projekts lauten: Welchen Bezug zur Gegenwart stellen die Erinnernden her, wenn sie heute über die Umbrüche und (Arbeits-)Kämpfe der Wende- und Postwendezeit sprechen? Wie verorten sich die Akteur*innen von damals im heutigen Deutschland beziehungsweise in der globalisierten Welt?