Sommer der Migration

In diesem Schwerpunktbereich von solidaritaetsgeschichten.de geht es um Erzählungen aus und seit dem langen Sommer der Migration 2015/16 in den Kommunen. Als im Spätsommer und Herbst 2015 das europäische Grenzregime als langfristige Folge der Aufstände des Arabischen Frühlings und der gewaltsamen Konflikte im Mittleren Osten zusammenbrach, reisten Tausende von Menschen täglich über Griechenland in die Europäische Union ein und überquerten europäische Binnengrenzen. Alsbald war in den deutschen Leitmedien von der sogenannten „Flüchtlingskrise“ die Rede. Krise stand in diesem Zusammenhang nicht für die Notlage der Geflüchteten selbst, sondern für die Situation der mit ihrer Ankunft konfrontierten deutschen Aufnahmegesellschaft. Denn spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2015 standen viele deutsche Kommunen vor dem Problem, dass die bestehenden lokalen Unterbringungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren und umgehend neue Lösungen gefunden werden mussten. In dieser medial engmaschig kommentierten Phase intensiver Fluchteinwanderung mobilisierten sich Millionen Bürger*innen, um die Neuankömmlinge zu unterstützen, andere reagierten mit öffentlichen Protesten und Gewalt gegen Geflüchtete. 

Im Rahmen des Transferforschungsprojekts „Solidarität erzählen“ am Konstanzer Standort des Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) wurden 2021 und 2022 Interviews mit unterschiedlichen Akteur*innen in zwei in Bezug auf Bevölkerungszahl und Sozialstruktur vergleichbaren deutschen Städten, nämlich Jena und Konstanz, geführt.

Die Erzählenden waren als Haupt- oder Ehrenamtliche in städtischen Behörden, in Vereinen, informellen Gruppen, in Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Bildungsinstitutionen, als Sozialarbeiter*innen, Nachbar*innen, Politiker*innen, mit oder ohne eigene Flucht- bzw. Migrationserfahrung, in die Ereignisse im langen Sommer der Migration eingebunden. Viele sind bis heute aktiv. Ihre in Erzählungen verdichteten Erfahrungswelten sind verzahnt mit gesellschaftlichen Diskursen über Geflüchtete, die „Flüchtlingskrise“ und die „Willkommenskultur“, aber sie sind nicht deckungsgleich und haben ihr Eigenleben, das zumeist unter dem Radar der medial vermittelten gesellschaftlichen Öffentlichkeit läuft.

Sukzessive werden immer mehr Geschichten veröffentlicht. Sie ergeben ein vielstimmiges gesellschaftliches Erzählwerk zum langen Sommer der Migration, das bis in die Gegenwart reicht. Sie erzählen von einer kollektiven Aufbruchstimmung, von Engagement und Selbstermächtigung, von neuen solidarischen Bündnissen in den Kommunen. Ebenso verdichten sich in ihnen Erfahrungen mit Frakturen der Aufnahmegesellschaft, mit Rassismus und Gewalt, mit Hilflosigkeit, enttäuschten Erwartungen, Irritation und Resignation.