Miteinander in Konstanz e.V. schafft Räume für vielfältige Begegnungen im Stadtteil Berchen/Öhmdwiesen

Im Konstanzer Stadtteil Berchen/Öhmdwiesen gründete die Erzählerin gemeinsam mit anderen 2010 den Verein Miteinander in Konstanz e.V.. Am Anfang bauten sie im Viertel einen interkulturellen Nachbarschaftsgarten im Rahmen des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt auf. Dann übernahm der Verein zudem die Trägerschaft für ein Quartierszentrum, und 2015 die Sozialbetreuung in einer Anschlussunterkunft für Geflüchtete. In den vielfältigen Aktivitäten des Vereins, vom internationalen wöchentlichen Mittagstisch über Repair-Café, Gartenarbeit und Nähwerkstatt, können sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Muttersprachen und Lebenssituationen im lockeren Rahmen begegnen.

Ort und Datum des Interviews: Konstanz, 30.06.2021

Ein Konstanzer Stadtteil wird Fördergebiet des Bundesprogramms Soziale Stadt

Unser Verein hat sich im Juni 2010 gegründet. Wir sind im Stadtgebiet Berchen/Öhmdwiesen, und das war Teil des bundesweiten Programms Soziale Stadt, ein Bund-Länder-Programm zur Förderung sozial benachteiligter Wohngebiete. Es gibt hier eine sehr heterogene Bevölkerung, einerseits sehr viele ältere Einheimische, wirklich auch „Ur-Konschtanzer“, andererseits ein hoher Anteil von Leuten mit Migrationshintergrund. Es gibt auch viele Familien, oft in sozial eher etwas schwierigeren Situationen. […] Das Wohngebiet ist eigentlich wirklich hübsch. Es liegt am Stadtrand von Konstanz im Grünen, ist super gut angebunden, es gibt Busse, die Bahn – eine gute Infrastruktur. Es ist wirklich angenehm, dort zu wohnen. Aber die Gegend hat einen wahnsinnig schlechten Ruf.

Ein Verein für einen interkulturellen Nachbarschaftsgarten entsteht

GemeinsamGarten Miteinander e.V. (Bild: Lea Biebel)

Und dann kam dieses Soziale-Stadt-Programm und die Stadt hat gesagt, wir müssen im Stadtteil Berchen/Öhmdwiesen etwas für den Zusammenhalt der Bevölkerung schaffen. Eine der Ideen und Aktionen, die der Quartiersmanager hatte, war ein interkultureller Nachbarschaftsgarten. […] Im März 2010 hat sich dann eine kleine Gruppe von zehn Leuten gefunden, die begeistert waren. Er hat uns dann das Grundstück gezeigt und hat schon damals zu uns gesagt: „Leute, ich bin irgendwann weg, dieses Soziale-Stadt-Programm ist in zwei, drei Jahren zu Ende. Ihr müsst einen Verein gründen, auch wegen dem Pachtvertrag.“ […] Dann haben wir den Verein gegründet und ich habe mich ganz mutig als zweite Vorsitzende aufstellen lassen. Es war ein kleiner Garten und wir haben uns ganz optimistisch Nachbarschaftsgärten Bodensee genannt, denn die Idee war, dass wir rund um den Bodensee noch mehr solcher interkulturellen Nachbarschaftsgärten schaffen. Wir waren sehr gemischt, hatten anfangs Menschen aus fünf, sechs verschiedenen Nationen dabei. Bis heute wechselt das immer wieder.

Immer mittwochs Mittagstisch aus aller Welt

Unser Ausgangspunkt war es zu versuchen, die vielen Menschen, die bei uns schon sehr lange leben, aber immer noch nicht wirklich Anschluss gefunden haben, zu unterstützen, gerade auch wenn sie älter werden, dann brauchen sie oft Unterstützung. Der Mann geht in der Regel raus, geht arbeiten. Dadurch lernt er dann Deutsch. Und die Frau, die hat die Kinder, sie sitzt zu Hause, sie kocht, sie macht, sie putzt, sie wäscht, sie hat jede Menge zu tun. […] Und dann bleibt die Sprache auf der Strecke, und wenn man dann die Leute ein bisschen fördern kann, ein bisschen rausholt, dann ist das enorm, wie die teilweise aufblühen. Und eines unserer Erfolgsangebote, sage ich mal, ist der sogenannte internationale Mittagstisch. Der hat coronabedingt natürlich lange brachgelegen. Am Mittwoch gibt es ein Mittagessen. Da bekommt man für fünf Euro fünfzig ein volles Mittagessen von Köchen aus aller Welt, die dort kochen für etwa 20 Personen. Ich glaube, wir haben schon 16 verschiedene Länder gehabt. […] Man isst da in schöner Runde. Und da ist vom Schulkind über den Berufstätigen bis zur über 90-jährigen Rentnerin, die sich freut, mal rauszukommen, jeder dabei, teilweise Leute, die Vereinsmitglieder sind, aber gar nicht unbedingt. Und die kommen dann miteinander ins Gespräch: „Ah was ist denn da drin? Das schmeckt so lecker und kann ich das Rezept bekommen?“, oder so. 

Neue Aufgaben seit 2015

Als dann die Flüchtlingswelle kam, hat sich natürlich unser Spektrum sehr verändert. Das ist schon etwas ganz anderes gewesen. Anfangs gab es enormen Bedarf, aber die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung insgesamt war hier in Konstanz sehr groß, die Geflüchteten wurden, denke ich, mit sehr offenen Armen aufgenommen. Anfangs gab es sehr viel Unterstützung, es haben sich Helferkreise ohne Ende gebildet. Und ja, wir waren vielleicht am Anfang gar nicht so aktiv. Dann kam 2015 tatsächlich die Stadt auf uns zu, obwohl wir als Trägerverein gerade mal fünf Jahre alt waren und erst drei Jahre vorher das Quartierszentrum übernommen hatten, und hat gesagt: „Wir bauen eine Anschlussunterkunft im Zergle. Die soll dahin kommen und ihr seid in der Nähe. Wie es wäre, wenn ihr die Sozialbetreuung dort übernehmt?“

In der Anschlussunterkunft Mülltrennung spielerisch lernen

In der AU Zergle ist immer wieder Bewohnerwechsel. Dort leben etwa 70, 80 Menschen. Und es ist auch nicht als Dauerwohnung gedacht. Das ist nur eine Notlösung, weil man auf dem freien Wohnungsmarkt in Konstanz nichts findet. Nach 20 Monaten dürfen die Menschen aus diesen Gemeinschaftsunterkünften raus und sich im Prinzip auf dem freien Wohnungsmarkt etwas suchen […] Aber Tatsache ist, dass viele nichts finden. Und deswegen hatte man überhaupt diese Anschlussunterbringung gebaut. Und da ist leider immer wieder relativ starker Wechsel. Unsere Sozialarbeiterin durfte [aufgrund der Corona-Einschränkungen] im Frühjahr ja praktisch nichts machen und jetzt, als sie wieder hingekommen ist, stellte sie fest, dass die eine Familie zum Beispiel, mit der sie sehr viel Kontakt hatte, jetzt ausgezogen, nicht mehr da ist. Aufgrund der vielen Wechsel ist es auch für sie dann nicht einfach, an die Leute ran zu kommen, Vertrauen zu schaffen. Sie konzentriert sich schon auch auf die Frauen und auf die Kinder. An die Kinder kommt man relativ unproblematisch ran.

Gemeinsam mit Geflüchteten gärtnern

Es gab eine Flüchtlingsinitiative, die sich Anfang 2015 gegründet hat und GemeinsamGarten hieß. Die hatten sich zusammengetan, ich sage mal eine Hand voll jüngerer Leute, die gesagt haben: „Mensch, wir möchten auch Geflüchtete unterstützen. Wir möchten irgendwas mit denen machen auf Augenhöhe. […]“ Und sie sind auf das gemeinsame Gärtnern gekommen. Da braucht man nicht viel Sprache und das geht auch auf Augenhöhe, also nicht so im Sinne von: Ich Deutscher zeige dir jetzt, wie es geht. Und da muss man auch nicht so viel Regeln beachten, das ist ein lockeres Zusammenkommen. Sie haben sich einen Namen, ein schönes Logo und alles gegeben, wie gesagt GemeinsamGarten, und waren dann auf der Suche, wo sie ihre Projektidee umsetzen können, und sind auf uns gestoßen. Das war genau zu dem Zeitpunkt als wir unseren Garten eröffnet haben. 

Vom Garten zur Nähwerkstatt

Unser Nähprojekt nennt sich Butterfly. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass unsere Handarbeitslehrerin aus Syrien stammt und anfangs fast kein Deutsch konnte, aber ein bisschen Englisch. Und die Leute von GemeinsamGarten haben dieses Nähprojekt mit der Handarbeitslehrerin zusammen initiiert. Sie war tatsächlich Ausbilderin in Syrien gewesen, und über GemeinsamGarten ist sie mit uns in Kontakt gekommen, hat auch bei uns im Quartier gewohnt. […] Ja, sie macht seit jetzt knapp fünf Jahren dieses Nähprojekt. Und es ist toll. Da sind Frauen aus fünf, sechs verschiedenen Nationen zusammen und unsere Sozialpädagogin macht es auch immer so, dass es zwischendrin eine Pause gibt und dass dann Deutsch geredet wird, gerade auch die deutschen Ausdrücke wie absteppen oder eine Sowieso-Naht. Darüber hat unsere Lehrerin natürlich ihr Deutsch enorm verbessert und hat dann vor zwei Jahren noch einen Anfängerkurs für Leute angefangen, die noch nicht wirklich Ahnung haben. 

Das hat ja so Spaß gemacht, da komme ich wieder

Wir haben auch ein Repair-Cafe, das ich vor fünf, sechs Jahren angezettelt hatte. Der eine Ehrenamtliche hat da am Empfang gesessen, wo quasi die Daten der Leute aufgenommen werden, der Name, was sie mitbringen – einen kaputten Toaster zum Beispiel –, und was daran nicht mehr funktioniert. Die Leute müssen dann eine Einverständniserklärung unterschreiben, eine Haftungsbegrenzung. Er hat am Empfang mitgeholfen und dann ganz begeistert gesagt: „Das hat soviel Spaß gemacht, das ist ja so toll, da komme ich wieder.“ Insbesondere im Repair-Cafe bei den Elektro-Reparaturen haben wir praktisch nur Männer.

Trotz Corona ein durchgehendes Beratungsangebot garantieren

Quartierszentrum Berchen-Öhmdwiesen Miteinander e.V. (Bild: Lea Biebel)

Was durchgehend auch in der Corona-Zeit stattgefunden hat, waren die Beratungsangebote, also soziale und berufliche Beratung. Gerade letzten Sommer gab es eine wahnsinnige Nachfrage, weil im Frühjahr die ganzen Behörden zugemacht hatten. Das war schwierig für jemanden, der nicht so gut Deutsch spricht am Telefon, und für viele ist auch online oft schwierig. Die meisten haben zwar ein Handy, aber oft braucht man dann ja doch einen Computerzugang. Dann muss man schon einigermaßen fit sein. Erstens braucht man die technische Ausrüstung, zweitens muss man sich ein bisschen damit auskennen, Telefonieren in einer anderen Sprache ist nicht einfach. Am Telefon fehlt ja auch die ganze Mimik, Gestik etc. Und man versteht den anderen viel schlechter. […] und dann ist es vielleicht noch jemand mit starkem Akzent, also Konstanzer Dialekt oder Schwäbisch oder so. Das ist seit dieser Zeit enorm schwierig und es gibt wahnsinnig viel Beratungsbedarf.

Im Viertel sind nicht alle begeistert

Wir hatten vor drei, vier Jahren bei der AU-Zergle ein kleines Gartenfest im Sommer. Ein Vereinsmitglied war gerade dabei Bierbänke aufzubauen. Da kommt einer seiner Nachbarn, aus Polen, vorbei und sagt zu ihm: „Was machst du denn da bei den Asylanten?“ ­– „Ja, wir machen hier ein Sommerfest. Wieso? Ich helfe da mit.“ – „Wieso gibst du dich mit denen da ab?“ Sagt der Ehrenamtliche: „Also, entschuldige mal, du bist doch selber nicht deutsch, du bist selber Ausländer, ja.“ „Ja, aber, aber ich bin doch kein Asylant! Die sollen doch bleiben, wo sie sind!“ Der Nachbar sagte dann noch: „Ja mit dir will ich nichts mehr zu tun haben“ Und der Ehrenamtliche: „Ja danke, ich habe auch keinen Bedarf mehr.“ Also jetzt nicht, dass die befreundet waren und so, aber die haben sich halt ab und zu gegrüßt, gelegentlich geredet. Er wohnt im Haus nebenan. Ich wollte damit nur sagen, dass es eben nicht nur die, ich sag mal, die Deutschen sind, die kein Verständnis und Vorurteile haben und so, sondern das geht quer durch alle Bevölkerungsschichten.

Ja, dafür lohnt es sich

Also, ich muss sagen, ich habe schon auch die eine oder andere Träne vergossen. Es gab auch einiges an Streit. Es gab auch ein paar unschöne Zeiten. Und ich war auch schon so weit, dass ich gesagt habe: „Ich schmeiße alles hin. Ich mag nicht mehr, ich habe keine Lust mehr.“ Aber inzwischen hat sich bei uns der Vorstand doch so gefestigt, wir sind jetzt seit ein paar Jahren zusammen und machen das gut. Ich denke, wenn jetzt zum Beispiel das erste Mal wieder Mittagessen ist und die Leute wieder zum Mittagstisch kommen und begeistert sind. Das sind so Highlights, das sind eigentlich die kleinen Momente, in denen ich denke: „Ja, dafür lohnt es sich.“

Internetlink: www.miteinander-konstanz.de