Ja, wenn man selbst etwas erlebt und Unterstützung erfahren hat, verspürt man oft den Wunsch, diese Hilfe auch anderen zukommen zu lassen: Im Jahr 1990 kam ich kurz nach der Wende nach Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt sprach ich kein einziges Wort Deutsch. Mein Zug machte in Leipzig Endstation, und ich musste umsteigen, obwohl ich mich überhaupt nicht auskannte. Ich versuchte, auf Englisch nach dem Weg zu fragen, erhielt jedoch keine Antwort. Schließlich sah ich zwei Personen mit dunkler Hautfarbe auf der Straße und sprach sie auf Englisch an. Zu meiner Erleichterung konnten sie Englisch und waren äußerst nett und hilfsbereit. Unterhalten haben sie sich miteinander auf Arabisch – meiner Muttersprache. Es stellte sich heraus, dass sie aus dem Sudan kamen, und wir tauschten uns schließlich auf Arabisch aus. Sie führten mich zu einem jungen Mann, der zufällig aus derselben Stadt wie ich stammte – ein wahrer Glücksfall. Er schrieb mir auf Deutsch einen Zettel, den ich zeigen sollte, falls ich auf meiner Weiterreise Hilfe benötigte. Mit diesem Zettel ging ich zum Schaffner, der mich zu meinem Zug brachte. Nach über 32 Stunden Reise erreichte ich schließlich mein Ziel in Sachsen, wo ich einen Deutschintensivkurs absolvierte. Die bereits anwesenden Studenten, die etwas Deutsch konnten, halfen den Neuankömmlingen wie mir und zeigten uns, wie alles funktionierte. Das war von unschätzbarem Wert. Nach drei Monaten hatten wir die deutsche Sprache bereits recht gut erlernt und konnten nun auch anderen helfen. Während meines Studiums in Thüringen kamen immer wieder neue ausländische Studenten, denen wir, die bereits länger dort waren, ebenfalls Unterstützung anboten.
Hier im Osten gibt es richtig viel Engagement
Wie ist es dazu gekommen, dass ich mich engagiere?
Als der Ausländerbeirat gegründet wurde
Im Jahr 2000 haben wir in Weimar den Ausländerbeirat gegründet, und seit 2006 bin ich aktiv daran beteiligt. Der Ausländerbeirat spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft in unserer Stadt wider, in der etwa zehn Prozent der Einwohner migrantische Gruppen repräsentieren, unabhängig davon, ob sie einen deutschen Pass besitzen oder nicht. Jeder wählt seine Vertreter, und am Ende entsteht eine ausgewogene Mischung an Repräsentanten. Obwohl der Ausländerbeirat im Stadtrat bis heute kein Mitspracherecht hat, können wir unsere Anliegen über den Oberbürgermeister oder andere Mitglieder des Stadtrats vorbringen. Derzeit besteht der Ausländerbeirat aus sieben Mitgliedern, die jeweils aus einem anderen Land stammen. Wir haben Mitglieder aus arabischen, russischen und asiatischen Ländern wie China, einen Armenier, einen Türken, einen Australier und eine Person aus den USA. Trotz der vielfältigen Herkunft arbeiten wir alle eng zusammen, um das Leben der Migrantinnen und Migranten in unserer Stadt zu verbessern.
Als ihre politischen Vertreter stehen wir in ständigem Kontakt mit der Stadtspitze, insbesondere dem Oberbürgermeister, und suchen gemeinsam nach Lösungen für auftretende Probleme. Persönlich ziehe ich es vor, auf Dialog zu setzen, anstatt gleich eine Demonstration zu organisieren. Wenn Gespräche keine Ergebnisse bringen, gibt es jedoch andere Möglichkeiten, unsere Anliegen voranzubringen. Die Gründung des Ausländerbeirats markierte den Beginn meines Engagements, und wenn ich etwas tue, dann möchte ich es auch richtig machen. Mein Ziel war es immer, zu unterstützen und zu helfen.
Internationales Fest: Jeder fühlt sich als Gastgeber und auch als Gast
Wir, als Ausländerbeirat, sind aktiv in der Organisation zahlreicher Bildungs- und Kulturveranstaltungen sowie im sozialen Bereich. Seit 2006 veranstalten wir hier in Weimar ein großes Fest. Es begann als eine spontane Idee: Da am 6. Januar im russischsprachigen Raum Weihnachten gefeiert wird, beschlossen wir, eine kleine Feier für diejenigen zu organisieren, die an diesem Tag Weihnachten feiern. Jeder brachte etwas mit, und wir erwarteten etwa 30 bis 40 Gäste. Überraschenderweise kamen jedoch ungefähr 200 Menschen. Im folgenden Jahr organisierten wir das Fest erneut, und es kamen über 400 Menschen. Daraufhin beschlossen wir, das Fest zu einer Tradition zu machen, die jedes Jahr um den 6. Januar herum stattfindet. Vor zwei Jahren feierten wir das fünfzehnte Jubiläum des Festes – die letzten beiden Jahre mussten wir leider aufgrund von Corona pausieren. Beim letzten Mal waren rund 1800 Menschen dabei. Das Fest wird von allen unterstützt, unabhängig von ihrer Herkunft. Jeder trägt dazu bei, und es ist das beste Fest, nicht nur in Thüringen, sondern deutschlandweit, weil es so viele Menschen unterschiedlicher Hintergründe zusammenbringt und für eine tolle Stimmung sorgt. Obwohl so viele Menschen zusammenkommen, hatten wir bisher keine Probleme. Jeder fühlt sich sowohl als Gastgeber als auch als Gast willkommen – das ist das Schönste an diesem Fest. Zusätzlich organisieren wir Straßenfeste, bei denen Menschen aus verschiedenen Ländern ihre Kulturen präsentieren, sowie interkulturelle Wanderungen. Es ist wichtig, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, da der Alltag leider oft nicht genügend Gelegenheiten bietet.
Wir dienen als Brücke zwischen Geflüchteten und der Stadtverwaltung
Zu Beginn, etwa 2014/2015, als immer mehr Geflüchtete nach Weimar und Umgebung kamen, haben wir eine Versammlung in einem Saal organisiert, zu der auch die Stadtspitze eingeladen war. Dort sollten die Geflüchteten uns ihre Probleme und Bedürfnisse mitteilen. Die große Anzahl an Ankommenden war für Deutschland und insbesondere für die Stadt Weimar neu und anfangs war die Stadt etwas überfordert. Es war klar, dass wir diese Herausforderung gemeinsam bewältigen mussten. Die Stadt Weimar hat uns intensiv in diese Arbeit eingebunden, sodass wir eine stabile Verbindung zwischen der Stadt und den Geflüchteten darstellten. Über mehrere Jahre hinweg haben wir eng mit der Stadt zusammengearbeitet.
Es ist natürlich sehr hilfreich, dass meine Muttersprache Arabisch ist, da sie auch die Muttersprache vieler Geflüchteter ist. Im Ausländerbeirat sprechen wir insgesamt sieben Sprachen. Die Geflüchteten stammen nicht nur aus dem arabischen Raum, sondern auch aus der Türkei, Afghanistan und anderen Ländern. Die Kommunikation spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Obwohl Englisch als gemeinsame Sprache genutzt werden kann, besteht dennoch die Gefahr von Missverständnissen. Die Menschen suchen gezielt nach Muttersprachlern wie uns und bitten um Hilfe. Es gibt auch afghanische Einwohner, die schon seit einiger Zeit in Weimar leben. Als Muttersprachler haben sie eine wichtige Rolle gespielt und fungierten als Vermittler.
Besuche in Gemeinschaftsunterkünften: Erklären und Vermitteln
Seit 2014 besuchen wir regelmäßig Geflüchtetenunterkünfte hier in Weimar und Umgebung (manchmal auch die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Thüringen in Suhl) und erkundigen uns nach Bedarfen und Möglichkeiten der Unterstützung. Bis heute bieten wir regelmäßige Beratung in Form von Kaffeenachmittagen an. Menschen, die aus anderen Ländern kommen, sind am Anfang oft komplett orientierungslos. Wir suchen nach Wegen, wie wir sie unterstützen können, und stellen sicher, dass sie ausreichend Informationen erhalten und dass die Kommunikation funktioniert, um ihnen beim Einleben hier zu helfen.
Viele Konflikte entstehen aufgrund von Kommunikationsproblemen, weil die Menschen nicht wissen, welche Schritte sie unternehmen müssen oder welche Verpflichtungen sie haben. Deshalb ist es unser Ziel, den Informationsfluss zu verbessern und sicherzustellen, dass die Menschen über geltende Regelungen informiert sind, wissen, wie lange sie an einem Ort bleiben können und wohin sie danach gehen können. Natürlich streben die Geflüchteten bessere Lebensumstände an. Wenn jemand sagt: „Ich brauche eine Wohnung“, antworten wir: „Wir verstehen, dass du eine Wohnung brauchst, aber die Wohnung muss erst einmal verfügbar sein.“ In solchen Situationen vermitteln und erklären wir. Einige konnten beispielsweise nach zwei Wochen aus der Unterkunft in eine eigene Wohnung umziehen, während andere vier Wochen warten mussten und das nicht verstehen konnten. Wir erklären dann, dass es einen Unterschied macht, ob es sich um eine Familie oder eine Einzelperson handelt und dass dies bei der Zuteilung berücksichtigt wird. Diese Erklärungen haben viel geholfen. In diesem Bereich wollen wir weiterhin aktiv bleiben.
Viele Geflüchtete haben Angst vor der Polizei
Viele Geflüchtete kommen aus Ländern, in denen diktatorische Regime herrschen und die Polizei für Angst und Unterdrückung steht. Sie müssen sich erst daran gewöhnen, dass die Situation hier anders ist. Wenn es Probleme in den Geflüchtetenunterkünften gibt, reagiert die Polizei oft mit einem massiven Einsatz von vier oder fünf Einsatzwagen. Dies löst bei den Menschen zunächst Ängste aus und die Stimmung droht außer Kontrolle zu geraten. Hier wäre eine sensiblere Herangehensweise erforderlich. Natürlich ist es wichtig, dass die Polizei bei Problemen präsent ist, jedoch muss dies nicht unbedingt mit einer großen Anzahl von Beamten geschehen. Oft stehen die Polizisten selbst unter Druck und verfügen über nur über begrenzte Informationen. Wir haben persönliche Kontakte zu einigen Polizeibeamten, die wir in solchen Fällen kontaktieren können. Meistens bitten wir darum, dass die Anzahl der Einsatzfahrzeuge reduziert wird. Oft lösen sich die Probleme, sobald die Polizei abzieht.
Es gibt auch Geflüchtete, die Schwierigkeiten haben, mit ihrer Situation umzugehen, was zu Konflikten führen kann. Viele von ihnen haben viel Unterdrückung erlebt und verdienen daher einen einfühlsamen Umgang. Es ist wichtig, zunächst Gespräche zu führen und zu versuchen, die Situation zu klären. In Zusammenarbeit mit der Polizei haben wir als Ausländerbeirat bereits viele Probleme gelöst und Konflikte geschlichtet. Die Verantwortlichen in den Unterkünften für Geflüchtete erkennen und schätzen unsere Bemühungen. Wenn es Probleme gibt, wenden sie sich oft an uns, und wir versuchen, die Polizei nur als letztes Mittel einzubeziehen, es sei denn, es besteht akute Gefahr. Es gibt jedoch immer noch einige Missstände. Manchmal wird vergessen, dass wir es mit Menschen zu tun haben und angemessen mit ihnen umgehen müssen. Zum Beispiel ist es für mich inakzeptabel, dass eine Familie mit fünf oder sechs Mitgliedern, die kein Asyl erhalten hat, in einem engen Raum in der Unterkunft leben muss. Auch wenn sie abgeschoben werden müssen, sollte dies humanitär geschehen. Ähnlich ist es bei Personen, die bereits seit drei oder vier Jahren hier sind und eine Ablehnung erhalten haben, jedoch Kinder haben, die zur Schule gehen. Diese Menschen dürfen oft nicht am Sprachkurs teilnehmen, was dringend geändert werden muss. Ehrenamtliche Arbeit allein reicht nicht aus. Die Ehrenamtlichen leisten oft mehr, als sie können, da ihnen die Ressourcen und Kapazitäten fehlen. Manchmal wird von der Politik angenommen, dass ehrenamtliche Arbeit alles bewältigen kann. Ja, wir leisten viel, aber wir können nicht alles allein mit ehrenamtlicher Arbeit bewältigen.
Seit 2015 sind viele neue migrantische Vereine entstanden
Vor 2014/15 gab es hier in Weimar nicht viele Menschen mit Migrationshintergrund. Die meisten waren Studenten, die sich auf ihr Studium konzentrierten. Es gab nur wenige Personen, die sich aktiv im Migrationsbereich engagierten. Das änderte sich jedoch ab 2014/15, als deutlich mehr Menschen hierherkamen. Infolgedessen mussten wir neue Strukturen aufbauen, denn Einzelpersonen können nur begrenzt viel bewirken. Neben dem Ausländerbeirat hatten wir viele Unterstützer, die zwar nicht im Beirat waren, aber dennoch helfen wollten. Im Jahr 2015 gründeten wir aus bereits bestehenden Vereinen, die heute als Migrantinnenorganisationen bekannt sind, das Migranetz. Es ist ein Landesnetzwerk von Migrantinnenorganisationen in Thüringen und seit 2020 ein eingetragener Verein. Wir begannen mit acht Migrantenorganisationen und sind mittlerweile auf 37 angewachsen. Es ist nicht einfach, innerhalb von fünf bis sechs Jahren so schnell zu wachsen. Die meisten Vereine in unserem Netzwerk wurden von Personen gegründet, die 2014/15 gekommen sind. Sie erkannten, dass solche Vereinsstrukturen sowohl für sie als auch für die Gemeinden, in denen sie leben, von großem Nutzen sind. Wenn man etwas für seine Gemeinschaft tun möchte und dafür finanzielle Unterstützung benötigt, dann führt kein Weg an Vereinen vorbei. Deutschland wird nicht umsonst als das Land der Vereine bezeichnet.
Seitdem entstanden Vereine aus verschiedenen Nationalitäten und Gruppen. Ich war fast immer in solche Gründungen in Weimar und Umgebung involviert, denn sobald man bekannt ist, suchen die Menschen Hilfe. Es gibt viele syrische und afghanische Vereine, die sehr aktiv und stabil geworden sind. In Erfurt beispielsweise entstehen Vereine aus dem Nichts: afghanische, somalische, syrische Vereine, die hochmotiviert sind und innerhalb weniger Monate sichtbar werden. Auch im ländlichen Raum, wie Richtung Altenburg, gibt es viele Vereine, insbesondere syrische. Darüber hinaus entstehen langsam türkische Vereine. Hier in Weimar haben wir damals auch weitere Vereine gegründet.
Hier im Osten gibt es richtig viel Engagement
Immer wieder werde ich gefragt, warum ich im Osten geblieben bin oder warum ich den Osten so schätze. Meine Antwort ist stets die gleiche: Hier im Osten gibt es ein enormes Maß an Engagement. Ja, es gibt auch eine politische Stimmung, die nicht ideal ist, aber das betrifft nicht den gesamten Osten, sondern nur einen Teil. Besonders in den Jahren 2014/2015 haben wir erlebt, wie hilfsbereit die Menschen sind. Bei jedem kleinen Hilferuf waren wir überwältigt von der Vielzahl an engagierten Menschen, den zahlreichen Spenden und dem starken Wunsch, einfach zu helfen. Natürlich ist Rassismus ein Thema, besonders im Osten. Hier ist er oft sichtbarer. Ich erlebe immer noch rassistische Vorfälle, sei es an der Bushaltestelle oder am Bahnhof. Manche Blicke schmerzen, und wir werden gelegentlich beschimpft. Der Osten wird manchmal mit dem Westen verglichen, der eine ganz andere Migrationsgeschichte und Migrant*innenzahlen sowie bereits vorhandene Strukturen hat. Bis 2017 gab es im Osten keinen einzigen Dachverband für Migrantenorganisationen. Deshalb haben wir 2017/2018 den Dachverband ostdeutscher Migrantenorganisationen, DaMOst, gegründet. Von Anfang an war ich mit dabei. Im Osten gibt es über 400 aktive Vereine, und für uns ist es wichtig, dass die Politik auch mit den Menschen aus dem Osten spricht, nicht nur mit denen aus dem Westen. Denn Ost und West sind zwei unterschiedliche Welten mit ganz unterschiedlicher Geschichte, und das sollte berücksichtigt werden.
Rassismus ist und bleibt Rassismus, egal wo er auftritt. Seit 2014/2015 ist er sichtbarer geworden und wird offen ausgelebt. Ich bin seit den 1990er Jahren hier und habe die Zeit der sogenannten "Baseballschlägerjahre" miterlebt. Zwischen Ende der 2000er und 2010 war es etwas ruhiger, aber in den letzten Jahren ist es wieder schlimmer geworden. Rassisten fühlen sich durch den Rechtsruck in der Politik ermutigt und werden mutiger. Es ist wichtig zu betonen, dass Rassismus keine Meinung ist. Rassismus ist Rassismus, und er kann tödlich sein, wie die Ereignisse in Hanau oder Halle zeigen. Der Osten umfasst Städte wie Erfurt, Weimar, Halle, Magdeburg, Rostock, Dresden oder Leipzig. Hier in Weimar zum Beispiel war es vor 2015 vielleicht ungewöhnlich, Frauen mit Kopftuch zu sehen. Heute ist es ein ganz normales Bild, auch wenn diese Frauen manchmal beschimpft werden. Wenn man heute durch die Stadt geht, sieht man Menschen aus aller Welt. Doch im ländlichen Raum, fernab von solchen Bildern, gibt es viele rassistische Vorfälle. Dort gibt es Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer. Die Menschen sind einfach dagegen, obwohl sie die Menschen nicht kennen, sondern nur Vorurteile haben.
Rassismus geht die ganze Gesellschaft an
Wir von den Migrant*innenorganisationen setzen uns aktiv gegen Rassismus ein, doch dieses Anliegen betrifft die gesamte Gesellschaft. Es ist nicht allein unsere Aufgabe, sondern eine Angelegenheit, die uns alle angeht. Was uns fehlt, ist das aktive Eintreten der Gesellschaft gegen Rassismus. Es genügt nicht, dass einige wenige aktive Personen uns unterstützen und Solidarität zeigen. Diese Haltung muss von der gesamten Gesellschaft getragen werden, sodass rassistische Beleidigungen und Handlungen nicht toleriert werden.
Als DaMOst führen wir ebenfalls Projekte im Bereich der Rassismusbekämpfung durch. In den letzten Jahren haben wir erhebliche Antidiskriminierungs- und Antirassismusarbeit geleistet. Wir stärken und professionalisieren die Personen, die sich im Bereich Antirassismus bei DaMOst engagieren. Auf der anderen Seite ist es jedoch entscheidend, dass wir auch die breite Mitte der Gesellschaft erreichen. Es gibt Menschen, die sich zwar nicht rassistisch verhalten, aber bei rassistischen Äußerungen oder Taten oft wegsehen und sagen: "Das geht mich nichts an". Doch Rassismus betrifft uns alle. Es müssen Ideen, Methoden entwickelt werden, wie diese Menschen erreicht werden können. Es müssen Strategien entwickelt werden, wie Zivilcourage gestärkt wird. Und was die Politik betrifft, sollte man sich dreimal überlegen, wen man wählt und vor allem ein Appell an diese Menschen, dass sie sich gegen Rassismus positionieren und nicht vergessen „Rassismus geht uns alle an“.
Andere Schwerpunkte in den Medien setzen
Die politischen Entscheidungsträger haben die Verantwortung zu entscheiden, aber gleichzeitig müssen sie die Menschen mitnehmen. Ich kenne viele Einwohner meiner Stadt und führe mit vielen Gespräche. Die meisten sind unzufrieden mit einer Politik, die zu wenig Informationen liefert oder diese falsch adressiert. Es besteht jedoch ein dringender Bedarf an Informationen. Die Kommunikation zwischen Politik und Gesellschaft muss unbedingt verbessert werden. Es ist wichtig, dass die Politik auch die Migrant*innen anspricht, denn sie kennen beide Kulturen und wissen, wie man mit ihnen umgeht. Wir dienen als Brückenbauer. Wir sind mit den Situationen im Iran oder in Afghanistan vertraut und sehen uns in einer Vermittlungs- und Vertretungsrolle. Wir ermutigen auch unsere Gemeinschaft dazu, ihre Anliegen an uns weiterzuleiten. Wir möchten nicht nur als Dolmetscher wahrgenommen werden, sondern als aktive Mitgestalter. Dies hat oft gefehlt. Zudem spielen die Medien eine wichtige Rolle, und es ist wichtig, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie sollten nicht nur Negatives aufzeigen, sondern auch positive Beispiele.
Ein Beispiel aus Weimar ist der jährliche Zwiebelmarkt. Vor einigen Jahren gab es ein Problem: Es wurde behauptet, dass junge Geflüchtete eine Frau belästigt hätten. Diese Nachricht verbreitete sich in der Stadt, und die Menschen waren verängstigt und besorgt um ihre Sicherheit. Sofort erhielt ich einen Anruf von den Verantwortlichen, die forderten, dass diese Personen abgeschoben werden müssten. Ich war jedoch der Meinung, dass wir zunächst abwarten sollten. Gleichzeitig veröffentlichte die Stadt eine Pressemitteilung basierend auf dem Polizeibericht, obwohl die Polizei nur mit den Sicherheitskräften gesprochen hatte. Die betroffenen Personen wurden entweder nicht richtig befragt oder man glaubte ihnen nicht. Es stellte sich heraus, dass die Behauptungen falsch waren und es sich um Fake-News handelte. Die Sicherheitsfirma hatte das Problem verursacht, und es war keine Belästigung von Frauen o.ä.. Die Medien unternahmen jedoch nichts, um die Wahrheit klarzustellen. Als die Wahrheit schließlich ans Licht kam, schwiegen alle, obwohl zuvor rassistische Äußerungen und Vorurteile verbreitet worden waren.
Am Ende werden wir alle in einen Topf geworfen
Wenn nun in Weimar beispielsweise fünf Personen Probleme verursachen - und wir sind hier über 6000 Migrantinnen - dann wird sofort gesagt: "Schau, was sie (die Migrantinnen) machen." Und genau das ist das Problem. Wir sind selbst gegen Probleme, gegen Konflikte, gegen Personen, die auf der Straße oder in der Öffentlichkeit stören. Aber letztendlich werden wir mit ihnen in einen Topf geworfen. Integration – ein Begriff, den ich überhaupt nicht mag – bedeutet nicht, dass ich meine Kultur, Tradition und Religion aufgeben muss. Vielmehr bedeutet es, dass ich meine persönlichen Merkmale in diese Gesellschaft einbringe und gemeinsam mit anderen lebe. Es bedeutet nicht, dass ich alles aufgeben muss. Ich muss mich nicht wie ein Deutscher verhalten, aber ich muss die Gesetze respektieren und die hiesige Gesellschaft sowie Kultur achten. Ansonsten muss ich nichts aufgeben.
Es gibt jetzt über eine halbe Million sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer*innen unter denjenigen, die 2014/2015 gekommen sind. Das wäre etwas, worüber die Medien berichten könnten. Hier in Thüringen haben wir in vielen Bereichen Arbeitskräfte gebraucht, insbesondere im medizinischen Bereich, in der Pflege, im Paketdienst usw. Jetzt während der Corona-Krise kriegen die Menschen das mit: diejenigen, die Pakete liefern, das sind immer Leute von uns.
Nützliche Links: