Welcome Treffen im Rathaus: Seit 2015 tauschen sich Haupt- und Ehrenamtliche regelmäßig aus

Im Frühjahr 2015 initiierte eine Gruppe Engagierter das Welcome-Treffen, das sich an alle richtet, die im Bereich der Geflüchtetenbegleitung in Jena und Umgebung aktiv sind bzw. es werden wollen. Sein Ziel: die Koordination aller bestehenden Initiativen sowie Vernetzung und Austausch zwischen Ehrenamtlichen und städtischen Vertreter*innen ermöglichen. Seit nunmehr acht Jahren treffen sie sich im Rathaus. Den Raum stellt die Stadt ihnen kostenfrei zur Verfügung. Die Dynamik ist nicht mehr dieselbe wie 2015, aber der Bedarf zum Austausch besteht weiterhin, wie es einer der Gründer der Initiative im Interview beschreibt.

Ort und Datum des Interviews: Jena, 31.8.2021

Prägende Erfahrungen mit zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation vor 2015

Das Aktionsnetzwerk gegen Rechts hatte sich Ende 2007 in Jena gegründet. Hintergrund war damals eigentlich ein Aufkommen rechter Aufmärsche in Jena, das sogenannte Fest der Völker. Es wurde 2005 das erste Mal hier durchgeführt und es war zu befürchten, dass Jena zu einem Event-Ort für die europäische Rechte wird. Und ja, das Aktionsnetzwerk hat sich gegründet aus einem zivilgesellschaftlichen Zusammenhang, der nicht institutionell angebunden war, sondern frei auf Personenbasis, eine sehr basisorientierte Aktion, die einen Riesenzuspruch in Jena hatte. Die Struktur bestand vor allem darin, dass wir ungefähr einmal im Monat ein öffentliches Plenum veranstaltet, Arbeitskreise gegründet haben, also eine klassisch basisorientierte Idee. Wir haben auch eine Debatte über zivilen Ungehorsam angestoßen, inwieweit das vor dem Hintergrund dieses Festes der Völker legitim ist. Das war eine Debatte, die ziemlich viel Beachtung gefunden hat, über Jena hinaus. Das ist sozusagen der Impuls der Selbstermächtigung, der damals für uns eine sehr prägende Erfahrung gewesen ist: Man kann Dinge bewegen, wenn man es möchte und Mitstreiter findet. Und wir warten jetzt nicht auf andere oder kritisieren andere, die vielleicht tatenlos sind, zumindest nicht vordergründig. Sondern, wenn wir der Meinung sind, es tut etwas not, dann machen wir es einfach.

Arbeitskreis Welcome: Geflüchteten praktische Unterstützung bieten

Flipchart

2014 nahmen die rechten Aktionen gegen Flüchtlingsunterkünfte in Thüringen wieder zu und wir haben dann Gegenaktionen, Demonstrationen organisiert. Aber wir wollten nicht rein aktionistisch bleiben und uns nicht nur auf politischer Ebene für Geflüchtetenrechte einsetzen, sondern eine direkte Verbindung zu unseren neuen Nachbarn aufbauen und haben deshalb diesen Arbeitskreis Welcome gegründet. Das hat dann 2014 dazu geführt, dass wir in die Gemeinschaftsunterkünfte gegangen sind und dort ganz praktisch geholfen haben. Denn das war die Idee, dass wir eben nicht nur eine politische Meinung dazu haben. Ja, und das hat dann für mich und meine Familie und die Gruppe bedeutet, dass wir nicht Punkt 2015 plötzlich was gemacht haben, sondern dass das ein Vorspiel hatte. Die Idee Flüchtlingsfreundeskreise zu etablieren und eine Verknüpfung zwischen Gemeinschaftsunterkunft und lokaler Bevölkerung herzustellen, kam nicht nur von uns, sondern aus verschiedenen Richtungen. Und diese Freundeskreise sind ein ganz tolles Erlebnis gewesen, für mich und viele andere. Die waren ganz divers zusammengesetzt, mit Leuten mit ganz unterschiedlichen Motivationen und Hintergründen, unterschiedlichen Alters und so weiter, die sich damals sehr engagiert haben.

Alle dürfen mitmachen, aber rassistische Debatten sind tabu

Parallel dazu gab es diesen Koordinierungsbedarf, der einfach notwendig erschien und die Frage, wie wird er realisiert. Dann haben wir das in Angriff genommen. Wir waren so ein Dutzend Leute, die teilweise aus diesem Arbeitskreis kamen, teilweise auch woanders her, und wir haben uns eine bestimmte Struktur ausgedacht, die sich super bewährt hat: Wir laden öffentlich ein, über die Presse, über unsere Kanäle. Wir arbeiten trotzdem mit einem Ausschlusskriterium, was nicht überall üblich ist, und haben als Veranstalter den Satz formuliert, dass wir uns eine Atmosphäre wünschen, in der wir nicht über Sinn und Zweck rassistischer Einstellungen mit irgendjemand diskutieren wollen, sondern wir wollten die ausschließen. 

Zu Beginn: ein vollgestopfter Saal, Gänsehaut und Aufbruchstimmung

Also zum ersten Treffen, da haben wir uns noch relativ gut vorbereitet. Wir hatten ein paar Leute angesprochen, die auch was sagen sollten, also wir wussten, es wird nicht passieren, dass keiner etwas sagt, und dass wir alles erzählen müssen. Und wir saßen dann in dem Vorraum, eine Viertelstunde vorher kamen schon ein paar Leute, und wir hatten so vielleicht mit 30 gerechnet und waren eigentlich pessimistisch. Und dann kamen da Gruppen an, so Pulks von 20 Leuten und wir saßen da, uns kannte ja auch keiner. Und die strömten alle in diesen Plenarsaal rein und zum Schluss sind wir in diesen Raum gegangen, wir hatten so Funkmikrofone, und hatten in der Mitte noch ein kleines Inselchen Platz, wo wir uns hinstellen konnten.

Der Containertristesse etwas entgegensetzen

Ja, was war da los: Also, es gab Leute, die wollten mit Kindern etwas machen; Sportangebote, sind ein Dauerbrenner in Jena, ist sehr gut gelungen. Es ging um gemeinsames Kochen, Fahrradwerkstatt, Fahrradschule für neue Nachbarn und Frauen, Schwimmunterricht, Wandertage, Bastel- und Holzwerkstätten, die Ausgestaltung der Gemeinschaftsunterkünfte im Freibereich, diese Containertristesse irgendwie in eigene Kräuterbeete und sonst was umzugestalten. Es gab ganz viele Ansätze, man brauchte nicht irgendwie Soziologe sein oder Sozialarbeiter, um auf die Idee zu kommen, dass so etwas gut funktioniert. Ja, und es gab natürlich auch von Anfang an Leute von der AWO, von der Kindersprachbrücke, von Kirchgemeinden, die schon mit einem Plan da waren, die zum Beispiel auch schon Kleidertausch organisiert hatten und das dann angeboten und darauf aufgebaut haben. Ja dann kurze Zeit später kamen auch Themen wie Schule, Bildung, Ausbildung, diese ganzen Erfahrungen; viele, die Patenfamilien hatten und sich Rat holen, aber auch ihre Probleme berichten konnten: Ja, ein sehr breites Spektrum. Und wir haben festgestellt, dass es ganz viele mit den gleichen Ideen gab, die sich dort verknüpft haben, Kochideen, Sportideen, und die konnten sich dann so ein bisschen koordinieren. Es gab natürlich viele Dinge, die letztlich nur eine bestimmte Zeit lang funktioniert haben, in einem bestimmten Erregungskorridor und dann eben nicht mehr. Aber ich denke, dass man das nicht anders erwarten kann.

Einen positiven Ankommensmoment gestalten

Wo wir uns sehr einig waren ist, dass dieser Ankommensmoment, wie er sich gestaltet, eine sehr prägende Wirkung hat; dieses Gefühl, auf ein Willkommen zu stoßen, das es für das ganze weitere Leben in Deutschland etwas ganz Wichtiges sein kann. Zum Beispiel, wenn man in eine neue Schulklasse kommt und diesen Augenblick vergisst man sein ganzes Leben nicht. Da weiß man, wer die erste dumme Bemerkung gemacht hat und wer einem nett den Platz angeboten hat und obwohl das nur eine ganz normale Schulstunde war, ist das ein prägender Augenblick. Und wenn der schief geht, dann hat man die ganze Schulzeit vielleicht dieses Bild im Hinterkopf. Dass das also unheimlich wichtig ist, dass es am Anfang eine Sensibilität dafür gibt, ob das jetzt eine Behörde ist, die gut arbeitet, die mich quasi verwaltet, worüber ich auch dankbar oder zufrieden oder auch kritisch sein kann, wie auch immer. Oder sind das richtige Nachbarn, normale Menschen mit ihren Familien, die mir nicht abweisend gegenüber stehen, sondern die eben auf ihre Art und Weise mich unterschiedlich willkommen heißen, aber mich nicht so eine Ablehnungserfahrung erleben lassen. Und Ablehnung mussten 2015 viele in manchen Orten und Gegenden sehr oft erfahren und wir haben uns jetzt zumindest bemüht, dass das in Jena seltener, anders ist.

Willkommen heißen mit mini deckis

Es gab auch die mini deckis, die sind keine Jenaer Erfindung: Da wurde für jedes Kind, das neu nach Jena kommt, eine Patchwork-Decke genäht, später auch mit Geflüchteten zusammen. Und diese Erfahrung, so ein Geschenk zu kriegen, ist besonders. Sozialleistungen sind so die eine Ebene: Du bekommst jetzt dein Starter-Set für die Schule und dann musst du in das Amt gehen, und dort gibt es dafür einen Schein und so weiter und so fort. Aber wenn jemand wirklich realisiert, dass sich andere hingesetzt haben und eine kuschelige Decke genäht haben, die einem Sicherheit geben kann, und das kommt von den Nachbarn, also von normalen Menschen, das ist eine ganz wichtige Funktion oder Erfahrung. Und das wünsche ich mir manchmal auch für jetzt, wo die Zahlen ganz andere sind.

Nach der Aufmerksamkeitswelle

Schon vor Corona hat sich der Charakter dahingehend geändert, dass es am Anfang sehr viele neue Ideen gab und sehr viele Leute kamen, die einfache Aufgaben gesucht und sich dann irgendwo angeschlossen haben. Dieser Rekrutierungseffekt ist immer weiter zurückgegangen. Einmal ist natürlich die Aufmerksamkeitswelle abgeebbt. Zweitens haben sich manche einfach verstetigt, professionalisiert und das Dritte ist, dass manche ihr Engagement von vorne herein für begrenzte Zeit angelegt haben. Wir haben immer gesagt, jeder gibt das, was er gerne gibt und ist dann nicht zweitrangig dadurch, sondern jeder wird mit seinem Beitrag gleichermaßen geschätzt, ob das mal ein Wochenende ist oder mehr oder weniger. 

Bleibende Herausforderung: Betroffene aktiv mit einbeziehen

Die Einbeziehung der eigentlich Betroffenen, also der Geflüchteten, ist eine große Herausforderung und natürlich war das Treffen dominiert von der sozusagen eingeborenen Gesellschaft, die sich dort zusammengefunden hat. Es gibt in Jena eine lange Tradition von engagierten Leuten aus verschiedenen Herkünften, die dort anzutreffen waren. Aber es ist am Anfang schwierig gelungen und bis heute nicht wirklich zufriedenstellend, jetzt viele Menschen, die damals in Gemeinschaftsunterkünften lebten, beim Treffen intensiv mit einzubeziehen. Es gab auf einer ganz persönlichen Ebene die Idee: Kommt doch mal mit. Das ist trotzdem nicht wirklich gelungen, ebenso auch die Versuche, in den Gemeinschaftsunterkünften eigene Sprecher, Räte zu etablieren. Das gab es, glaube ich, mal vor längerer Zeit in der Schulstraße. Die Selbstorganisation über Herkünfte, über unterschiedlichen Nationen hinweg, dass die Gemeinschaftsunterkünfte auch eigene Gremien wählen, das ist in Jena, glaube ich, nirgends gelungen. Ich wünsche mir eigentlich so eine fifty-fifty Situation, dass man in solchen Sachen praktisch diesen Brückenanspruch auch personell in so einer Runde gerecht wird, und das ist uns eigentlich bis heute nicht so richtig gelungen.

Jena - Eine Insel?

Wir haben in Jena einfach großes Glück, dass es hier eine starke Gegenströmung gibt. Aber Thüringen ist das Land der Dörfer und der Kleinstädte. Man sieht das an den Wahlergebnissen, da ist sicherlich viel zu tun. Das ist auch etwas, was unsere Debatte immer wieder erreicht: Ist es sinnvoll, sich auf so ein kleines städtisches Umfeld beschränken? Wo werden eigentlich die Probleme gewälzt? Es gibt durchaus die berechtigte Forderung zu sagen, wer sich ernsthaft engagieren will, kann das nicht einfach so auf den Bereich beschränken, der eh schon relativ gut läuft, sondern müsste eigentlich in das Umfeld gehen. Und wir haben auch regelmäßig Teilnehmer aus Rudolstadt, aus Camburg, aus Eisenberg, die Runde war auch offen für dieses Umfeld.

Und es geht immer weiter

Jena ist keine Stadt, in der alle Geflüchteten, die einmal hier waren, bleiben, sondern es gibt einen Sog hin zu den Orten, wo die großen Communities sind. Und wir fragen auch manchmal: "Meint ihr, dass wir das Welcome-Treffen noch brauchen?" Also wir stellen uns auch eigentlich bei jedem Treffen selbst die Frage: "Ja, vielleicht sind wir jetzt überflüssig oder so, sagt doch mal." Da gibt es wirklich immer eine breite Mehrheit, die sagt: "Nee nee, also wir hätten es gerne weiter." Und das ist vielleicht ein guter Sprung zum Corona. Tatsächlich haben wir uns damals in einer Art Schlafzustand befunden, haben Corona überwintert. Wir haben natürlich weiter Dinge getan, aber dieses Treffen-Format, da waren wir skeptisch. Und es gab auch von der Stadtverwaltung die Signale, jetzt zu Beginn des Jahres, dass sie das Treffen wieder haben wollen.

Nützliche Links:

https://welcome-in-jena.de/

Bericht von "Jena TV" vom Oktober 2016: https://welcome-in-jena.de/jena-tv-beitrag-fluechtlingsfreundeskreise-vereine-und-privatpersonen-wollen-ihre-arbeit-besser-koordinieren/