WeltRaum: Beratung und Teetrinken, mitten im Stadtzentrum

In Jena entstanden im Jahr 2014 mehrere so genannte Flüchtlingsfreundeskreise. Ehrenamtliche schlossen sich zusammen. Sie gingen in die Unterkünfte, um mit den dort untergebrachten Menschen in Kontakt zu kommen. Diese niedrigschwelligen Initiativen, ohne institutionelle Anbindung, spielten damals eine zentrale Rolle. Einige waren Ausgangspunkt für langfristige Projekte zur Begleitung Geflüchteter. Eine Interviewte schildert dies am Beispiel des WeltRaums.

Ort und Datum des Interviews: Jena, 26.8.2021

Die Anfänge: Gemeinsames Teetrinken & Kleiderkammer

Schon als die Flüchtlingswelle begann, 2014/15, wurde ich eingeladen zu einer Gesprächsrunde oder Welcome-Initiative in Jena. Wir haben uns eine Art Begrüßungsprogramm überlegt, wie wir die Menschen einladen können, wie wir uns in die Flüchtlingsunterkünfte selber einladen können, was wir dort installieren könnten, um eine Art regelmäßigen Kontakt zu bekommen. Der Gedanke war, als Nachbarn die neuen Nachbarn zu begrüßen, also die neuen Einwohnerinnen und Einwohner JenasUnd so begannen wir regelmäßig einmal in der Woche, ein Teetrinken in einer Flüchtlingsunterkunft zu veranstalten. 

Der WeltRaum entsteht und etabliert sich

Außenansicht WeltRaum (Bild: I. Grau)

Dann wurde uns das Angebot gemacht, dass wir unter dem Dach eines Vereins als Arbeitsgruppe arbeiten und diesen Laden betreiben können, für den die Stadt die Betriebskosten bezahlt. So war die Konstruktion. Wir haben sofort zugesagt, hatten noch nicht viel darüber nachgedacht, dass das ja auch möglicherweise für die Stadt Jena, etwas Praktisches sein könnte, wenn es eine Gruppe aus hauptsächlich Ehrenamtlichen gibt, die sich darum kümmert. Wir hatten einfach nur gefunden, dass das etwas war, das wir gerne machen wollten und wo wir jetzt die Möglichkeit zur Umsetzung hatten. Außerdem haben wir damals 2015 auch gedacht: ‚Na ja, es ist eine Initiative, die vielleicht ein, zwei Jahre allerhöchstens funktioniert und wichtig ist. Danach wird sich das wahrscheinlich erledigt haben.’ Was das betrifft, haben wir uns sehr gründlich getäuscht. Unser damals ins Leben gerufener Laden, der dann im Laufe des ersten Jahres WeltRaum genannt wurde, hat sich total etabliert in Jena. Er ist von allen anderen Institutionen anerkannt als niedrigschwellige Beratungsstelle. Und er hat sich vor allen Dingen auch für die Kundschaft, sage ich jetzt mal, als unabdingbar in Jena erwiesen, sodass wir jetzt inzwischen damit rechnen, dass wir wahrscheinlich auch weitere sechs, zehn, 20 Jahre hier bestehen können, wenn wir das wollen.

Von Ehrenamtlichen und Bundesfreiwilligen

Spieleabend (Bild: WeltRaum)

Es war seiner Zeit, also 2015, eine sehr große ehrenamtliche Gruppe, ebenfalls auch sehr viele Geflüchtete, die sich für unsere Beratung interessierten. Es lief natürlich einiges auch holprig an, bis dann alle irgendwie ein Level hatten auf dem Deutsch gesprochen und vermittelt werden konnte, und dass es Übersetzungen gab und sowas alles. Und wir haben relativ schnell zwei Bundesfreiwilligendienststellen bekommen bzw. organisiert gekriegt. Zuvor haben wir nur ehrenamtlich gearbeitet. Dann waren die Bundesfreiwilligen da, zwei syrische junge Männer und seitdem haben wir ununterbrochen zwei Bundesfreiwilligendienststellen. Halbe Stellen sind das jeweils. Wir haben jetzt einige von unseren Bundesfreiwilligen auch schon bis Ultimo verlängert bekommen, sodass derjenige, der jetzt am längsten da war, hier zwei Jahre tätig war.

Ein Beratungsangebot in allen Lebenslagen

Beratungsräume (Bild: I.Grau)

Wir haben viele Menschen oder relativ viele Menschen, die heftig verschuldet sind. Das hat Corona noch verstärkt, eindeutig. Weil die Leute viel schwereren Zugang zu allen Behörden hatten, hat sich vieles mangels Sprachkenntnisse zugespitzt: Familiäre Krisen, Scheidung, Trennungen, Dramen aller möglichen Art. Auch ist das Thema Familiennachzug hier in den Gesprächen ganz wichtig, das hat auf jeden Fall zugenommen. Wenn man sich erst einmal hier selbst einigermaßen zurechtfindet, möchte man dann natürlich auch seine Verwandten hier haben und in Sicherheit wissen.

Vor allem syrische Kundschaft & die prekäre Situation afghanischer Geflüchteter

Wochenplan (Bild: I.Grau)

Wir beraten hauptsächlich syrische Menschen. Das hat sich daraus ergeben, dass wir auch eher syrische Menschen beschäftigen und dass die afghanischen Geflüchteten andere Aufenthaltsstati bekommen. Das war schon immer ein großes Problem, das jetzt in dieser Krise noch viel größer geworden ist. Die afghanischen Geflüchteten haben gar keine Zeit tagsüber in eine Beratung zu gehen, weil sie rund um die Uhr versuchen müssen zu arbeiten, damit sie irgendwie einen Aufenthaltsstatus bekommen, um es mal drastisch zu sagen. Sie bekommen kaum Jobcenterbezüge, nur unter erschwerten Bedingungen haben sie Zugang zu der normalen Versorgung in Deutschland. Und sie sind ständig von Abschiebung bedroht beziehungsweise von der Androhung der Abschiebung. Vollzogen wird das in Thüringen seit geraumer Zeit nicht, glücklicherweise. Aber es wird eben damit gedroht, und sie bekommen keinen Aufenthaltsstatus, sondern immer nur diese, zum Beispiel, sechs Wochen Duldung, das ist ein unsäglicher Zustand. Jetzt durch diese Notlage wird das vielleicht endlich nochmal überdacht, aber das ist von Anfang an schwierig und auch deshalb haben wir weniger afghanische Kundschaft als syrische. 

Von Desinteresse und Alltagsrassismus in Jena

Es kamen immer mal wieder Leute, die gestänkert haben, auch ältere Leute. Aber das ist ganz selten. Das ist eher am Anfang gewesen, glaube ich. Häufiger ist es passiert, dass Menschen auch nach Jahren noch nicht mitbekommen hatten, dass der ehemalige Laden* hier nicht mehr drin ist. Und leider nehme ich viel Desinteresse von der alteingesessenen Bevölkerung wahr. Auch Bekannte von mir, die nach sechs Jahren immer noch nicht wissen, wo und was das überhaupt ist. Man muss das natürlich auch nicht wissen, aber ich erzähle auch viel davon, weil ich mich ja freue, dass wir diese Sache irgendwie ins Laufen gebracht haben. Und Anfeindungen hat es auch gegeben. Wir haben mal eine besprühte Tür gehabt, so irgendwie mit hässlichen Zeichnungen beklebt. Aber das waren mehr so dumme Sachen, und wir wissen nicht so genau, wer das getan hat. Unseren Mitarbeitenden ist jeweils schon öfter etwas passiert. Denn in Jena ist Alltagsrassismus schon ganz schön virulent, eher subtil, aber trotzdem am Kochen. Auch schlimme Sachen sind passiert, Kindern gegenüber zum Teil und so. Oder ein Mitarbeiter ist mal geschlagen worden. Er wurde um eine Zigarette gefragt oder irgendetwas und kriegte eine reingehauen. Das passierte nicht im Zusammenhang mit der Arbeit hier, sondern auf der Straße oder in der Straßenbahn.

Lockdown in der Pandemie: beraten ja, aber ohne Teetrinken

Feier kurz vor Corona-Lockdown (Bild: WeltRaum)

Unseren Mitarbeitenden geht es schon schlecht, wenn wir mal zwei Wochen Schließzeit haben, also regulär, in den Sommerferien zum Beispiel, da scharren sie schon mit den Hufen und wollen wieder arbeiten. Aber Corona war etwas ganz anderes. Da war es dann ja offiziell untersagt, zusammen Tee zu trinken und zusammenzusitzen. Wir haben dann einzelne Beratungen höchstens zu dritt in einem dieser Räume oder auch draußen gemacht und versucht, den Leuten ein bisschen gerecht zu werden, ohne dass wir das Teetrinken haben. Aber wir haben alle gemerkt, dass es genau das ist, was eigentlich den WeltRaum ausmacht. Und dieses Zusammensitzen hat uns schon sehr gefehlt. Gleich zu Beginn der Corona-Zeit, im März 2020, als wir schließen mussten, hatten wir hier drei syrische Schneider, die für die Stadt Jena Alltagsmasken genäht haben. Von Stoffspenden haben sie wahnsinnig viele Masken genäht – ich glaube, das Ziel war 10.000 Masken –, die dann verschenkt wurden an Einrichtungen, Kindergärten. Und man konnte sich auch gegen eine Spende privat Masken hier abholen.