„Es war alles so offen und wir haben es so selbst bestimmt“

Über Aufbruchstimmung, Punkkonzerte, Freiräume, Verteidigung gegen Neonazis und warum man in Politgruppen so schlecht alt werden und dabei bleiben kann. Im Gespräch ist eine schon zu DDR-Zeiten oppositionelle Polit- und Kulturaktivistin aus Leipzig.

ID: Li13, Ort und Datum des Interviews: Leipzig, 14.6.2023

Jugend-Opposition

Ich bin in Leipzig geboren, hatte eher einfache Verhältnisse, aber ein offenes Elternhaus. Nicht besonders gute Kindheit, sagen wir es mal so. Zur Wende war ich Anfang 20. Also ich habe auch schon noch einige Zeit in der DDR miterlebt, bin da auch logischerweise sozialisiert. Gelernt habe ich Fleischverkäuferin, habe das aber abgebrochen, weil ich mit 17 ins Gefängnis gekommen bin wegen einer Sprühaktionen. Freunde von uns aus Berlin, eine Punkband, waren ins Gefängnis gekommen, weil die politische Texte hatte. Und dann bin ich mit drei Jungs los und da haben wir so gesprüht, „Freiheit für Jana, Mita und A-Micha“, „Bullenstaat“, „Bürgerkrieg“, sowas. Und sind auch gleich am nächsten Tag ins Gefängnis gekommen. Ich habe neun Monate bekommen wegen öffentlicher Herabwürdigung und Rowdytum, weil ich „Bullenstaat“ gesprüht habe. Hab ich abgesessen. Und als ich dann entlassen wurde, habe ich verschiedene Gelegenheitsjobs gemacht, angefangen von Bauarbeiter-Versorgung, dann Schreibkraft und Sekretärin, und bin Ende der 80er in der Moritzbastei als Kellnerin gelandet. Und dort habe ich dann zehn Jahre gearbeitet und ganz viele verschiedene Jobs gemacht, von Barleiterin bis Gaststättenleiterin. Und seit 2000 ungefähr arbeite ich in der Filmbranche als Casterin.

„Aufbruchstimmung bis Entsetzen“ – eine kurze Phase von Wirksamkeit

Die Wende war schon was Beeindruckendes und Wichtiges für mich. Es gab in einer extrem kurzen Zeit wahnsinnig viele Eindrücke von Unfassbarkeit, Freude und Aufbruchstimmung bis hin zu Entsetzen und dem Gefühl, es geht doch nicht so viel, wie man dachte. Also zu merken, nicht gesellschaftlich wirksam zu sein, sondern doch wieder eher in einem kleineren Kreis, in einer kleinen Gruppe politisch agieren zu müssen. Und dann zu merken, dass man doch selber entscheiden muss, wie man die Räume füllt, wie man seinen Lebensraum mit anderen gestaltet und politisch aktiv ist, ohne parlamentarisch oder gesellschaftlich zu agieren, sondern wirklich eine eigene, ich würde heute sagen: Nische, aufzubauen. Ich hatte natürlich das Gefühl von viel größerer Bedeutsamkeit, aber weiß ich jetzt nicht, ob das dann in der Analyse so stimmt.

„Und da sind eigentlich in unfassbar kurzer Zeit ganz, ganz viele Dinge passiert“ – Musik und Politik

Ich bin, glaube ich, Anfang, also wirklich erst Anfang 90, das erste Mal aus der Stadt raus gekommen, weil es einfach so aufregend war.

Und das war natürlich verbunden damit, eigentlich jeden Tag politisch und kulturell aktiv zu sein. Ich bin, glaube ich, Anfang, also wirklich erst Anfang 90, das erste Mal aus der Stadt raus gekommen, weil es einfach so aufregend war. Mich hat es gar nicht interessiert, irgendwo anders hinzugehen. Das waren die damaligen „Reaktions“-Konzerte, die ja der Vorläufer vom Conne Island waren – da haben wir versucht, Musik und politische Inhalte zusammen zu binden und das Interesse an Musik, an neuer Musik, an anderer Musik, zu nutzen, um politische Inhalte mit zu kommunizieren, entweder in Heftchen-Form oder indem wir auf der Bühne was gesagt haben. Und da sind eigentlich in unfassbar kurzer Zeit ganz, ganz viele Dinge passiert. Zum Beispiel finde ich es immer abgefahren, dass wir uns damals entschieden haben, einen Fraueneinlass zu machen, und das war ja wirklich schon 1990. Dabei war das gar nicht so politisch motiviert, sondern einfach so ein bisschen komm-das-können-wir-auch-mäßig.

„Dass das Individuum keine Rolle gespielt hat“ – Praxis, Theorie und Gefühle in der politischen Arbeit

Man hat schon das politische Thema gehabt und hat dort Freunde gefunden.

Die 1990er waren für mich der absolute Anti-Nazi-Kampf, eine Antifa-Hochzeit für mich und ganz prägend dafür, wie man an Themen rangeht, bis heute. Ich gehöre zum Beispiel eher zu der Bewegungslinken, das ist für mich stimmig. Obwohl ich die Kritik an der Theorielosigkeit auch verstehe – aber ich fand nie, dass sich das und eine Auseinandersetzung mit Inhalten ausschließt. Der um 2000 sehr theoretisch werdende Bezug, der war mir dann irgendwie zu trocken. Ich wollte auch nicht, dass wir uns immer streiten. Ich fand, wenn ich Politik mache und mir dann die Zeit um die Ohren schlage, möchte ich, dass ich mit Leuten zusammen bin, die ich mag, und wo wir uns nicht immer gegenseitig angehen. Das fand ich schon richtig befremdlich. Ich habe dann aber doch noch paar Jahre durchgehalten (lacht).

„Das war wie Goldrausch, so ein Glücksgefühl“ Über die Montagsdemos...

... das Gefühl war da: ich habe alles richtig gemacht, ich habe für das Richtige gekämpft, und jetzt klappt es.

Wir haben auch schon die Jahre davor immer relativ viel politisch gearbeitet, natürlich unter ganz anderen Bedingungen. Schon 1988, durch den Mockauer Keller, hat man mitgekriegt, dass mehr Sachen möglich sind als die Jahre davor. Es war schon ein bisschen so eine Aufbruchstimmung. Aber dass es jetzt in die Richtung geht, wie es dann kam, damit habe ich wirklich gar nicht gerechnet. Mir ist ja auch, kurz, bevor die ersten Demos losgingen, nochmal eine Besuchsreise in den Westen erlaubt worden – verrückterweise, was sicherlich ein bisschen damit zusammenhängt, dass die gar nicht wollten, dass ich zurückkomme. Ich bin aber wiedergekommen. Ich bin wiedergekommen, weil ich gemerkt habe, dass das Leben dort, und wie es meinen Freunden dort ging, irgendwie gar nicht passend für mein Leben war. Die waren schon so resigniert in allen Dingen. Und ich war gerade in so einer extremen Aufbruchstimmung. Da dachte ich mir, nee. Da gehst du lieber wieder zurück. Und ich bin dann Montag wirklich zu der ersten Demo, also als noch gar nicht klar war, dass es eine gibt. Wir gingen einfach vor die Nikolaikirche, und diese Stimmen, „wir wollen hier raus!“, die wurden da eben langsam ein bisschen weniger, und das war gut, das ging mir nämlich ein bisschen auf den Nerv. Da wollte ich nicht unbedingt mit dabei sein bei denen, die alle „raus“ wollen. Ist für mich okay, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich da mitmachen muss.

„Es war ganz klar, mit denen können wir nicht mehr laufen“ – die Stimmung kippt in Nationalismus

Weil es ja ein bisschen seltsam ist: du freust dich, es passiert gerade eine Revolution, und du findest es aber auch schon wieder scheiße.

Ja, und dann ist es eigentlich relativ schnell gekippt. Es ging dann schon los mit den ersten Nazi-Ständen, die da auftauchten, wo wir schon gemerkt haben, okay, das geht jetzt in eine komische Richtung. Und auf dem Augustusplatz konnte man immer Redebeiträge anmelden, und da hatten wir uns auch angemeldet. Verrückterweise habe ich mich sogar dafür bereit erklärt. Wirklich verrückterweise! Weil da waren dann schon 100.000 auf dem Platz. Also ich weiß gar nicht, warum ich mir das zugetraut habe. Aber wir kamen, Gott sei Dank, gar nicht mehr dazu, weil jemand vor uns, der ein ganz klein bisschen was gesagt hat wie „Solidarität“ und „gegen rechte Tendenzen“, der wurde so ausgebuht, dass es klar war, da kann ich nicht hochgehen, die hätten mich da runter geholt mit meinem Redebeitrag. Das war uns dann ganz klar, dass das nicht mehr geht. Und das war auch der Tag, als wir so da standen, wir waren ja vielleicht 30, 40, aus dem Mockauer Keller und Umfeld. Und dann ging das los, und dann waren schon überall Deutschlandfahnen und die riefen auch schon sowas wie „Deutschland, einig Vaterland“. Und dann sind die losgelaufen, und ohne dass – und das finde ich ja wirklich spektakulär! – ohne dass irgendjemand gesagt hat, wir machen das jetzt so, sind wir stehen geblieben, weil wir wussten, mit denen können wir nicht mehr mitlaufen, das geht nicht. Das war ganz klar für alle, ohne dass es irgendjemand gesagt hat, wir machen das nicht, sondern es sind wirklich alle stehen geblieben. Aber nach Hause gehen war auch so überhaupt gar keine Option. Man war ja gerade auch so bereit für alles.

„Viele haben den Zugang zur Politik über die Musik und diese Konzerte gehabt“

Es gab ja schon immer so ein linkes, alternatives Umfeld von Punkern und Hardcore-Leuten und ein paar Künstler und ein paar Anarchos. Ich weiß gar nicht, wie man die jetzt alle betiteln sollte. Und dieses Umfeld war ja schon immer in Leipzig sehr miteinander verwoben, weil es einfach eine kleine Stadt ist. Es ist so irre – heute noch, wenn ich Leute treffe, wenn wir uns unterhalten, wie bist du eigentlich dazu gekommen, höre ich, wenn sie ein bisschen älter sind, fast zu 80 Prozent: Reaktions-Konzerte. Damals habe ich das gar nicht alles mitgekriegt, weil ich so mit uns beschäftigt war und mit der Organisationen dieser Konzerte. Da habe ich gar keinen Blick dafür gehabt, wie viele Menschen dahin gegangen sind, wann welche Leute kamen. Aber es war so - viele haben den Zugang zur Politik über die Musik und diese Reaktions-Konzerte gehabt. Vielleicht sind die alle, die musikalisch interessiert waren, dann aus ihren Nischen gekommen, sind dahingegangen und sind dann politisiert worden. Die Antifa Jugendfront hat sich dann mit uns zusammengetan, wir kannten uns eh schon, aber die haben dann auch Einlass gemacht und so. Ich glaube, das war ein sehr großer Anlaufpunkt, wie sich Leute gefunden haben, weil es vorher keine Clubs oder sowas gab.

„Die Zeit war wirklich geprägt von anderen Dingen, von Politik“ – Währungsunion und Deutsche Einheit

Ich würde sagen, von 1990 bis 2000 war das die ganze Zeit Politzeug und Antifa-Arbeit, eigentlich die ganze Zeit, durchgehend.

Die Währungsunion und die Wiedervereinigung war bei uns eigentlich allen scheißegal, glaube ich. Das hatte keine Wirkung. Klar, hat man sich über das eine oder andere auch ein bisschen gefreut (lacht). Man fand das schon ganz gut, dass man mit seinem Geld in einem anderen Land bezahlen konnte oder so. Aber es hatte jetzt keine Bedeutung, für uns, glaube ich, für uns alle nicht. Die Grenzen haben sich zwar geöffnet am 9. November, aber ganz viele, die ich kenne, die in dieser Zeit mit uns zusammen waren, sind wirklich erst im Sommer 1990 aus Leipzig raus. Sind nicht in den Westen gefahren. Gar keine Zeit! Es war wirklich so. Weil es so aufregend war, war das gar nicht so Thema. Ich kenne da wirklich ganz viele. Ich bin erst am 30. März mal gefahren, das waren dann schon vier Monate. Und das ist ja eigentlich wahnsinnig lang, weil wenn Du die ganze Zeit eingeschlossen warst und dann nicht gleich am nächsten Tag irgendwo hinfährst, dann ist das schon viel, vier Monate nicht zu fahren.

Fraueneinlass und Antifaschistischer Frauenblock

Und dann wurden wir als Frauen immer zwei als eine Person gezählt. Das war der eine Punkt, wo ich dachte, geht's noch?

Wir haben das mit dem Fraueneinlass auf den Konzerten einfach ausprobiert, weil wir dachten, das nimmt so eine gewisse Aggressivität am Einlass weg. Denn es war so, dass die Leute das jetzt gar nicht gewohnt waren. Die kamen aus dem Osten alle, und sind immer irgendwie in eine Disko reingekommen, indem sie sich ein bisschen mit den Schultern durchgekämpft haben. Und erst hat immer die Antifa Jugendfront den Einlass gemacht. Irgendwann habe ich dann gesagt, oder irgendjemand anders hat es gesagt: lasst uns als Frauen das mal machen. Und dann haben wir uns da hingestellt. Und dann drückten die auch wieder, und da hab ich dann gesagt, willst du jetzt irgendwie zeigen, dass du es richtig drauf hast? Oder bleibst du einfach mal stehen, und ich lasse dich rein, wenn es weitergeht? Und das hat verrückterweise vollkommen funktioniert. Nein, nicht verrückterweise, eigentlich logisch, dass die ein bisschen baff waren.

„Man muss sich da eben über die eigenen Bedürfnisse stellen“ – Politische Arbeit und persönliche Befindlichkeiten

Ich habe jetzt nie gesagt, das hat gerade nicht gepasst oder ich war verliebt oder was. Ich habe nie was nicht gemacht, weißt du? Und ich glaube, wir waren da alle ein bisschen so.

In der Zeit, in der ich aktiv war, war es immer so, dass das Persönliche in der politischen Arbeit eher zurückstand. Was sich geändert hat, ist mir aufgefallen, seit ich in einem Hausprojekt mitmache, wo wir nicht politisch arbeiten, aber eben an einem Projekt zusammenarbeiten: dass das Individuum jetzt so wichtig ist. Mir fällt auf, dass heute eine viel stärke Ich-Bezogenheit existiert als früher. In meiner politischen Hochphase hat sich das „Ich“ viel stärker der Gruppe und der Sache untergeordnet. Und das fand ich auch gut so. Ich glaube, man hat der Sache gedient, und dabei hat man sich kennengelernt und war befreundet. Ich war nicht befreundet und hab deswegen einer Sache gedient. Also WIR waren immer zweitrangig. Die Ängste, die Gefühle, das Bauchschmerzengefühl im Plenum, wenn man sich untergebuttert fühlte, das war alles unwichtiger. Es ging immer um den Text, um die Demo, um den Aufruf. Und dabei sind wirklich viele hinten runter gefallen, die nicht so krass einstecken konnten. Ich bin, glaube ich, eine krasse Person, also dass ich das alles so ausgehalten habe. Ich wusste das aber nicht, dass ich so krass im Einstecken bin. Ist mir jetzt erst bewusst geworden, dass nur Leute auch wirklich durchgehalten haben, die auf irgendeine Art und Weise sich entweder eine Nische gesucht haben – oder eben krass waren.

Streits und Spaltungen

Früher gab es auch Kritik, aber die war nicht so persönlich, nicht so verletzend.

Eigentlich ging das alles nach dem 11. September los. Da haben sich in der Linken zwei Fronten gebildet. Das ist der eine Punkt. Viele westdeutsche Gruppen, mit denen wir zu tun hatten, waren eher internationalistisch und antiimperialistisch eingestellt. In Leipzig ging es immer sehr stark um die kritische Auseinandersetzung mit dem NS und der Shoah. Deshalb galten wir als antideutsch – und vielleicht waren wir es auch. Das Existenzrecht Israels nie in Frage zu stellen war uns wichtig. Es gab also viele bundesweite Streits – aber auch in Leipzig. Zwischen der Theorie und der Praxisfraktion. Es gab aber auch mehr Diskussionen, Lesegruppen und, und, und.

„Die Alten könnten ja auch mal bleiben“ – über Ausstieg und Ausschluss

Das typische Ausstiegsalter von 26 war da auch wirklich meistens Realität.

Auch in der Gruppe gab es viele Diskussionen, ehrlich gesagt auch viel über das Definitionsrecht. Das war ein großes Thema. Außerdem, was früher nicht so war, waren fast alle dann Akademiker*innen. Und ich komme ja nun wirklich gar nicht aus diesem Fach. Mir ist es auch einfach schwergefallen, Texte zu verstehen oder welche zu schreiben. Und da hatte ich dann das Gefühl, ich kann gar keine Impulse mehr setzen. Ich verstehe ein bisschen die Kritik, dass wir auch keine Antifa mehr machen sollten, obwohl ich die damals nicht geteilt habe. Ich habe auch verstanden, dass es andere so gesehen haben, dass man zu viel reagiert, zu wenig eigene Impulse setzt oder eigene Aktionen oder eigene Inhalte versucht zu fördern. Und an dem Punkt habe ich gemerkt, dass ich teilweise gebremst hab oder eben auch nicht mehr mitkam – oder es mir einfach wirklich keinen Spaß mehr gemacht hat. Ich habe auch nicht so richtig gesehen, wo das hingehen soll und was ich da überhaupt noch bewirken würde wollen und können. Also: ich hatte das Gefühl, dass es ist nicht mehr meine Gruppe ist. Und dazu noch diese Streits, die ja wirklich auch heute noch so sind, dass man sich lieber fast gegenseitig die Veranstaltungen stört statt in eine Diskussion zu gehen. Und das fand ich dann überhaupt nicht mehr reizvoll, und es hat mich einfach nicht mehr interessiert.

Unverständnis zwischen Ost und West

Ich fühlte mich da total belehrt und hatte das Gefühl, ihr wisst überhaupt gar nicht, wie sich das hier anfühlt.

Anfang der 90er gab ja diese Veranstaltungsreihe, "Etwas Besseres als die Nation". Das war wirklich spektakulär. Das war so eine abgefahrene Veranstaltung. Im Nachhinein kann ich mir das nicht angucken, ich finde mich da auch zu peinlich. Aber wenn jemand kommt und sagt, bei Euch sind alles ja nur Nazis, bei Euch im Osten ist es Scheiße, und wir helfen euch mal, dann kriege ich so einen automatischen Verteidigungsmodus.

„Antifa-Arbeit zur Seite zu legen, das sieht man gerade am NSU, das war falsch“

Ich fand es ja schon länger wichtig, dass zu Antifa-Arbeit nicht nur Nazis kloppen oder ihre Veranstaltungen stören gehört, sondern weiter zu gucken, wie bei der Wurzen-Geschichte und der Sache mit dem rechten Konsens. Das ist ja auch eine Analyse und mehr Arbeit gewesen, als sich nur auf der Straße zu begegnen. Das fand ich ja schon auch, dass man sich länger Gedanken machen sollte und auch mal an ein paar Jahre weiter denken. Zum Beispiel, was man machen könnte, wenn man die alle aus der Stadt verjagt hat. Wo gehen die dann hin? Wenn Leipzig nazifrei ist, wo sind sie denn dann? Solche Analysen haben wir schon gemacht, aber natürlich nicht mit so einem theoretischen Überbau. Und ich finde heute auch unsere damalige Analyse falsch, dass der Staat unter der rot-grünen Bundesregierung 2001 die Antifa abgelöst hat – quasi als Staatsantifa. Dass das so eingeschätzt wurde, fand ich nicht ganz richtig.

Hinterfragen, offen bleiben, Unterschiede leben – ein Erbe der 90er

Dieses nicht eins-zu-eins oder schwarz-weiß Denken, das habe ich in den 90ern gelernt.

Wie haben mich die 90er bis heute geprägt? Ich würde sagen, in ziemlich vielen Bereichen. Aber was mir vor allem immer wieder auffällt, ist, dass man Bedingungen, auch in einem linken Zusammenhang, die als vorgegeben erscheinen, dass man die immer wieder hinterfragen muss. Das fand ich in Leipzig ja wirklich besonders gut. Linke Zentren in den alten Bundesländern sind ja oft sehr geprägt von Drogenkonsum. Also die alten linken Läden hatten immer das Problem, das haben sie uns oft erzählt, dass die zerbrochen sind, weil die sich beklaut haben, wegen Beschaffungskriminalität, und weil natürlich die Leute, wenn die auf irgendwas waren, keinen Bock mehr hatten, was politisches zu machen. Sondern die Freiräume einfach genutzt haben, aber nichts dafür gemacht. Da haben wir relativ zeitig gesagt, da passen wir ja auf. Wir waren damals ja extrem drogenfeindlich, ganz extrem (lacht), weil wir das Gefühl hatten, das wird uns zerstören. Was ich also meine: dass man nicht immer alles das nimmt, was in anderen Gruppen in den alten Bundesländern schon vorgegeben wurde, sondern zu sagen, nee, da können wir noch mal neu gucken, ob das stimmt.

„Dass es sich eigentlich immer lohnt, was zu machen“

Wir waren keine Opfer. Wir hätten welche werden können, haben aber was dagegen getan.

Und ehrlich gesagt, das klingt zwar total krass, aber ich habe zur Wende, zu DDR-Zeiten und auch in 90ern gelernt, dass es sich eigentlich immer lohnt, was zu machen. Das klingt jetzt total doof, wie so ein Schlusssatz. Aber auch wenn man das Gefühl hat, es würde nichts bringen, stimmt das nicht. Es bringt nur dann nichts, wenn man einfach nichts macht. Auch wenn man das Gefühl hat, man ist eigentlich hilflos. Man ist natürlich oft hilflos. Aber zum Beispiel, dass wir uns in Connewitz frei bewegen konnten, ohne Angst zu haben, das lag daran, dass wir super Antifa-Arbeit gemacht haben. Und ich glaube, das ging vielen so. Auch die Anti-Überwachungs-Demo fand ich gut. Also ich fand da schon vieles gut. Man ist ja immer hin- und hergerissen. Klar darf man die Zeit nicht einfach so hochhalten und sagen, früher war alles gut. Aber aus der damaligen Analyse heraus finde ich vieles richtig gut, was wir gemacht haben. Ich bin eigentlich nicht jemand, die sagt, früher war alles geil, das meine ich nicht, aber ich finde es richtig gut, was wir gemacht haben. Und das Conne Island steht noch. Es ist jetzt nicht mehr geil, aber steht noch (lacht).