Ich bin in Leipzig geboren, hatte eher einfache Verhältnisse, aber ein offenes Elternhaus. Nicht besonders gute Kindheit, sagen wir es mal so. Zur Wende war ich Anfang 20. Also ich habe auch schon noch einige Zeit in der DDR miterlebt, bin da auch logischerweise sozialisiert. Gelernt habe ich Fleischverkäuferin, habe das aber abgebrochen, weil ich mit 17 ins Gefängnis gekommen bin wegen einer Sprühaktionen. Freunde von uns aus Berlin, eine Punkband, waren ins Gefängnis gekommen, weil die politische Texte hatte. Und dann bin ich mit drei Jungs los und da haben wir so gesprüht, „Freiheit für Jana, Mita und A-Micha“, „Bullenstaat“, „Bürgerkrieg“, sowas. Und sind auch gleich am nächsten Tag ins Gefängnis gekommen. Ich habe neun Monate bekommen wegen öffentlicher Herabwürdigung und Rowdytum, weil ich „Bullenstaat“ gesprüht habe. Hab ich abgesessen. Und als ich dann entlassen wurde, habe ich verschiedene Gelegenheitsjobs gemacht, angefangen von Bauarbeiter-Versorgung, dann Schreibkraft und Sekretärin, und bin Ende der 80er in der Moritzbastei als Kellnerin gelandet. Und dort habe ich dann zehn Jahre gearbeitet und ganz viele verschiedene Jobs gemacht, von Barleiterin bis Gaststättenleiterin. Und seit 2000 ungefähr arbeite ich in der Filmbranche als Casterin.
„Es war alles so offen und wir haben es so selbst bestimmt“
Jugend-Opposition
„Aufbruchstimmung bis Entsetzen“ – eine kurze Phase von Wirksamkeit
Die Wende war schon was Beeindruckendes und Wichtiges für mich. Es gab in einer extrem kurzen Zeit wahnsinnig viele Eindrücke von Unfassbarkeit, Freude und Aufbruchstimmung bis hin zu Entsetzen und dem Gefühl, es geht doch nicht so viel, wie man dachte. Also zu merken, nicht gesellschaftlich wirksam zu sein, sondern doch wieder eher in einem kleineren Kreis, in einer kleinen Gruppe politisch agieren zu müssen. Und dann zu merken, dass man doch selber entscheiden muss, wie man die Räume füllt, wie man seinen Lebensraum mit anderen gestaltet und politisch aktiv ist, ohne parlamentarisch oder gesellschaftlich zu agieren, sondern wirklich eine eigene, ich würde heute sagen: Nische, aufzubauen. Ich hatte natürlich das Gefühl von viel größerer Bedeutsamkeit, aber weiß ich jetzt nicht, ob das dann in der Analyse so stimmt.
„Und da sind eigentlich in unfassbar kurzer Zeit ganz, ganz viele Dinge passiert“ – Musik und Politik
Und das war natürlich verbunden damit, eigentlich jeden Tag politisch und kulturell aktiv zu sein. Ich bin, glaube ich, Anfang, also wirklich erst Anfang 90, das erste Mal aus der Stadt raus gekommen, weil es einfach so aufregend war. Mich hat es gar nicht interessiert, irgendwo anders hinzugehen. Das waren die damaligen „Reaktions“-Konzerte, die ja der Vorläufer vom Conne Island waren – da haben wir versucht, Musik und politische Inhalte zusammen zu binden und das Interesse an Musik, an neuer Musik, an anderer Musik, zu nutzen, um politische Inhalte mit zu kommunizieren, entweder in Heftchen-Form oder indem wir auf der Bühne was gesagt haben. Und da sind eigentlich in unfassbar kurzer Zeit ganz, ganz viele Dinge passiert. Zum Beispiel finde ich es immer abgefahren, dass wir uns damals entschieden haben, einen Fraueneinlass zu machen, und das war ja wirklich schon 1990. Dabei war das gar nicht so politisch motiviert, sondern einfach so ein bisschen komm-das-können-wir-auch-mäßig.
Eigentlich waren die ganzen Neunziger davon geprägt, diese Räume zu füllen. Das Conne Island aufzubauen, neue Lebensmodelle ausleben, also WG-Wohnen, manchmal auch Reisen, aber das habe ich gar nicht so oft gemacht – eigentlich war ich immer arbeiten oder im Conne Island. Ich kann mich an nicht viel anderes erinnern als an Conne Island, Trinken, Sport machen, politische Gruppen, Demos vorbereiten und natürlich auch, am Anfang, viel Nazikram. Denn das, was dann später kam, wo wir uns auf sicherem Boden fühlen konnten, war am Anfang der 90er noch gar nicht so klar. Da war es wirklich eher angesagt und notwendig, in Gruppen nach Hause zu gehen und sich immer verteidigen zu müssen, bis es dann irgendwann nicht mehr das Gefühl dieser Ohnmacht gab, sondern wir Sachen selbst in die Hand genommen haben. Vorher hatten wir immer nur reagiert.
„Dass das Individuum keine Rolle gespielt hat“ – Praxis, Theorie und Gefühle in der politischen Arbeit
Die 1990er waren für mich der absolute Anti-Nazi-Kampf, eine Antifa-Hochzeit für mich und ganz prägend dafür, wie man an Themen rangeht, bis heute. Ich gehöre zum Beispiel eher zu der Bewegungslinken, das ist für mich stimmig. Obwohl ich die Kritik an der Theorielosigkeit auch verstehe – aber ich fand nie, dass sich das und eine Auseinandersetzung mit Inhalten ausschließt. Der um 2000 sehr theoretisch werdende Bezug, der war mir dann irgendwie zu trocken. Ich wollte auch nicht, dass wir uns immer streiten. Ich fand, wenn ich Politik mache und mir dann die Zeit um die Ohren schlage, möchte ich, dass ich mit Leuten zusammen bin, die ich mag, und wo wir uns nicht immer gegenseitig angehen. Das fand ich schon richtig befremdlich. Ich habe dann aber doch noch paar Jahre durchgehalten (lacht).
Also, es war jetzt nicht so, dass ich mir die Freunde gesucht habe, und dann haben wir was zusammen gemacht. Man hat schon das politische Thema gehabt und hat dort Freunde gefunden. Aber das war für mich schon auch wichtig, dass das zusammengehen muss, dass ich das mit den Leuten gerne zusammen machen will. Obwohl man auf jeden Fall sagen kann, auch im Unterschied zu heute, dass das Individuum keine Rolle gespielt hat. Das ist mir jetzt auch nochmal bewusst geworden, weil ich merke, dass wir eigentlich voneinander gar nichts wissen. Von den ganzen Leuten, mit denen ich zehn Jahre verbracht habe, weiß ich nicht, wie die aufgewachsen sind, was die für Eltern und Geschwister haben usw. Wir haben schon über den Tag und über den letzten Abend geredet, aber nicht über uns, über Empfindungen oder Ängste – so, wie ja heute relativ viel auf das Bauchgefühl gehört wird, das kann ich jetzt nicht machen und sowas. Es war aber auch nicht immer gut. Ich will das jetzt gar nicht so vorteilhaft darstellen, aber es hat auch Vorteile gehabt, definitiv. Ich habe mich jedenfalls sehr wohl darin gefühlt, meine eigene Person ein bisschen zurückzunehmen, das fand ich eigentlich gut, und habe mich aber trotzdem gesehen gefühlt. Man hat ja dann trotzdem einen ganz engen Freundeskreis, wo man das dann austauscht.
„Das war wie Goldrausch, so ein Glücksgefühl“ Über die Montagsdemos...
Wir haben auch schon die Jahre davor immer relativ viel politisch gearbeitet, natürlich unter ganz anderen Bedingungen. Schon 1988, durch den Mockauer Keller, hat man mitgekriegt, dass mehr Sachen möglich sind als die Jahre davor. Es war schon ein bisschen so eine Aufbruchstimmung. Aber dass es jetzt in die Richtung geht, wie es dann kam, damit habe ich wirklich gar nicht gerechnet. Mir ist ja auch, kurz, bevor die ersten Demos losgingen, nochmal eine Besuchsreise in den Westen erlaubt worden – verrückterweise, was sicherlich ein bisschen damit zusammenhängt, dass die gar nicht wollten, dass ich zurückkomme. Ich bin aber wiedergekommen. Ich bin wiedergekommen, weil ich gemerkt habe, dass das Leben dort, und wie es meinen Freunden dort ging, irgendwie gar nicht passend für mein Leben war. Die waren schon so resigniert in allen Dingen. Und ich war gerade in so einer extremen Aufbruchstimmung. Da dachte ich mir, nee. Da gehst du lieber wieder zurück. Und ich bin dann Montag wirklich zu der ersten Demo, also als noch gar nicht klar war, dass es eine gibt. Wir gingen einfach vor die Nikolaikirche, und diese Stimmen, „wir wollen hier raus!“, die wurden da eben langsam ein bisschen weniger, und das war gut, das ging mir nämlich ein bisschen auf den Nerv. Da wollte ich nicht unbedingt mit dabei sein bei denen, die alle „raus“ wollen. Ist für mich okay, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich da mitmachen muss.
Wir sind dann also da hin, so ein bisschen das Umfeld von dem Mockauer Keller, und irgendwann hieß es: „wir gehen los“. Und dann sind wir da einfach losgegangen. Das war wie ein Goldrausch, so ein Glücksgefühl. Also, weil ich dachte, das gibt es doch gar nicht, dass wir das jetzt können. Und die Bullen waren auch harmlos. Und das wurden ja dann wirklich von Montag zu Montag mehr, und auch immer mehr in der Nikolaikirche. Das war mit viel, viel Glück verbunden, und mit viel Aufregung.
Es gab dann das Neue Forum und diese ganzen Gespräche in der Moritzbastei, wo man sich ständig auseinandergesetzt hat. Es gab nicht mehr die Angst, dass man jetzt gleich ins Gefängnis muss, weil man mal irgendwo was gesagt hat. Wir waren schon noch vorsichtig, auch mit Flugblättern, das haben wir schon noch alles beachtet. Ich fand auch, die wenige Gewalt, die von den Bullen ausging, die fand ich schon gruselig, weil ich es einfach nicht gewohnt war. Wenn ich es mir heute angucke, finde ich es natürlich lächerlich, aber damals kannte man das ja auch noch gar nicht. Und ich wusste auch, wenn man dann festgenommen wird, kann das auch ein bisschen blöde werden, also dass man dann einfach mehrere Jahre weggesperrt wird. Das war ja nicht klar, wo es sich hin entwickelt.
Ich weiß bloß noch, dass ich, als es von Montag zu Montag immer mehr Leute wurden, es auch gute Losungen gab, und ganz gute Transparente. Natürlich gab es auch viele Opportunisten und Leute, die sich angepasst haben. Aber im Gegensatz zu denen musste ich nicht mal ein schlechtes Gewissen haben. Ich konnte es einfach nur geniessen.
Man hat ja die ganze Zeit immer gesagt, man muss was machen, und alle haben gesagt, das bringt doch eh nix, und es macht keinen Sinn. Ich glaube jetzt nicht, dass wir das erreicht haben, das sind andere politische Kräfte gewesen, die das waren. Aber trotzdem -- das Gefühl war da: ich habe alles richtig gemacht, ich habe für das richtige gekämpft, und jetzt klappt es.
„Es war ganz klar, mit denen können wir nicht mehr laufen“ – die Stimmung kippt in Nationalismus
Ja, und dann ist es eigentlich relativ schnell gekippt. Es ging dann schon los mit den ersten Nazi-Ständen, die da auftauchten, wo wir schon gemerkt haben, okay, das geht jetzt in eine komische Richtung. Und auf dem Augustusplatz konnte man immer Redebeiträge anmelden, und da hatten wir uns auch angemeldet. Verrückterweise habe ich mich sogar dafür bereit erklärt. Wirklich verrückterweise! Weil da waren dann schon 100.000 auf dem Platz. Also ich weiß gar nicht, warum ich mir das zugetraut habe. Aber wir kamen, Gott sei Dank, gar nicht mehr dazu, weil jemand vor uns, der ein ganz klein bisschen was gesagt hat wie „Solidarität“ und „gegen rechte Tendenzen“, der wurde so ausgebuht, dass es klar war, da kann ich nicht hochgehen, die hätten mich da runter geholt mit meinem Redebeitrag. Das war uns dann ganz klar, dass das nicht mehr geht. Und das war auch der Tag, als wir so da standen, wir waren ja vielleicht 30, 40, aus dem Mockauer Keller und Umfeld. Und dann ging das los, und dann waren schon überall Deutschlandfahnen und die riefen auch schon sowas wie „Deutschland, einig Vaterland“. Und dann sind die losgelaufen, und ohne dass – und das finde ich ja wirklich spektakulär! – ohne dass irgendjemand gesagt hat, wir machen das jetzt so, sind wir stehen geblieben, weil wir wussten, mit denen können wir nicht mehr mitlaufen, das geht nicht. Das war ganz klar für alle, ohne dass es irgendjemand gesagt hat, wir machen das nicht, sondern es sind wirklich alle stehen geblieben. Aber nach Hause gehen war auch so überhaupt gar keine Option. Man war ja gerade auch so bereit für alles.
Und da haben wir uns dann entschieden, ganz spontan, dass wir denen einfach entgegengehen. Also in die andere Richtung vom Ring, was dann später als Gegendemonstration betitelt wurde. Das war natürlich vollkommen falsch verstanden. Und als was wir da beschimpft wurden! „Wandlitz-Kinder“, oder „die letzten von der Stasi“. Das hat keiner von den normalen Bürgern verstanden, was wir eigentlich wollten. Das kann man denen ja auch nicht mal vorwerfen, denn was denken die auch, wenn wir denen entgegen laufen? Was denken die, dass wir das schon wieder kritisieren? Das ist für die zu hoch gewesen. Es war aber ganz schlimm, denn die waren so aggressiv, wirklich so: „geht erst mal arbeiten“, und dann gab es auch rassistische Bemerkungen oder antisemitische, also „euch haben sie vergessen zu vergasen“. Da ist alles dabei gewesen, richtig krass. Dann haben wir uns irgendwie entschieden, diese Montags-Gegendemonstration immer zu machen. Und wir wurden natürlich auch mehr.
Dann wurde es immer aggressiver. Und irgendwann eskaliert es halt dann auch. Die Demo wurde ja vorne von Nazis angeführt. Ich weiß gar nicht mehr, wann das genau alles war, aber im November hatten die dann vorne so 200 Nazis an der Spitze ihres Demozuges. Natürlich, das muss ich zur Entschuldigung der mittleren und hinteren Demo sagen, das konnten die gar nicht sehen. Aber der Zug wurde angeführt von Nazis. Und als wir auf die trafen, haben die vor uns gestanden mit den Sprüchen: „wer nicht springt, ist ein Roter, wer nicht springt, ist ein Toter“. Und dann haben die uns durch die Stadt gejagt, Richtung Uni. Wir haben uns dann in der Mensa verbarrikadiert, und das war richtig krass.
Und da haben wir dann gesagt, nee, da gehen wir jetzt nicht mehr hin. Also ich meine, wir sind ja jetzt kein Freiwild. Und dann war diese Entscheidung, die ich vorhin so schnell gesagt habe: wir müssen einfach eigene Sachen machen und eigene Räume holen, das hier ist nicht mehr unsere Spielwiese. Aber es war frustrierend, weil wir natürlich auch ein bisschen andere Hoffnungen hatten – Also, Kapitalismus wollte ja auch keiner von uns, und Wiedervereinigung sowieso nicht. Es war eigentlich so, dass man wusste, was man nicht wollte. Man hat halt nicht darüber geredet, was man wollte oder wie so was aussehen kann, weil es einfach viel zu weit weg war, diese Möglichkeit. Aber wir haben uns dann unsere kleine Insel geschaffen, im wahrsten Sinne des Wortes: Conne Island, mit den Reaktions-Konzerten. Das war ja die Folge daraus, zu sagen, wir müssen uns auf uns beziehen, weil in der großen bürgerlichen Mitte, da wird nichts, das ist nichts für uns. Also das war so Anfang 90, um die Wende herum.
Und natürlich sind dann relativ schnell viel mehr Leute dazugekommen. Vielleicht weil auch andere Leute gemerkt haben, dass sie das scheiße fanden. Weil es ja ein bisschen seltsam ist: du freust dich, es passiert gerade eine Revolution, und du findest es aber auch schon wieder scheiße. Und dann sehen die, dass da noch jemand eine Kritik hat an dem Wie. Und dann haben wir relativ schnell Zulauf gehabt. Anfänglich waren wir höchstens 30, würde ich sagen, aus dem Mockauer-Keller-Umfeld. Dann kamen einfach Leute immer mit Leuten mit. Wir waren vielleicht 200 auf den Gegendemos, im Vergleich natürlich trotzdem wenige Menschen.
„Viele haben den Zugang zur Politik über die Musik und diese Konzerte gehabt“
Es gab ja schon immer so ein linkes, alternatives Umfeld von Punkern und Hardcore-Leuten und ein paar Künstler und ein paar Anarchos. Ich weiß gar nicht, wie man die jetzt alle betiteln sollte. Und dieses Umfeld war ja schon immer in Leipzig sehr miteinander verwoben, weil es einfach eine kleine Stadt ist. Es ist so irre – heute noch, wenn ich Leute treffe, wenn wir uns unterhalten, wie bist du eigentlich dazu gekommen, höre ich, wenn sie ein bisschen älter sind, fast zu 80 Prozent: Reaktions-Konzerte. Damals habe ich das gar nicht alles mitgekriegt, weil ich so mit uns beschäftigt war und mit der Organisationen dieser Konzerte. Da habe ich gar keinen Blick dafür gehabt, wie viele Menschen dahin gegangen sind, wann welche Leute kamen. Aber es war so - viele haben den Zugang zur Politik über die Musik und diese Reaktions-Konzerte gehabt. Vielleicht sind die alle, die musikalisch interessiert waren, dann aus ihren Nischen gekommen, sind dahingegangen und sind dann politisiert worden. Die Antifa Jugendfront hat sich dann mit uns zusammengetan, wir kannten uns eh schon, aber die haben dann auch Einlass gemacht und so. Ich glaube, das war ein sehr großer Anlaufpunkt, wie sich Leute gefunden haben, weil es vorher keine Clubs oder sowas gab.
Die Reaktions-Konzerte liefen bis Anfang 90, würde ich sagen. Das war ja auch nur einmal im Monat, oder einmal in zwei, drei Wochen. Am Anfang mussten wir auch immer einen Raum suchen. Wir sind von Clubhaus zu Clubhaus gezogen und haben gefragt, können wir zu euch rein. Wir haben das auch in Schönefeld gemacht, aber dann hat sich irgendwie die NaTo als bester Platz rausgestellt. Die musste man aber auch immer ein bisschen beruhigen, weil die haben gesagt, nicht mehr als 400. Waren natürlich immer mehr. Aber da waren die sehr cool. Das muss man auch mal sagen. Das lag auch daran, dass lustigerweise ich die alle von früher noch kannte, also noch als ganz junges Mädchen und so. Und da ist dann immer so ein Vertrauensverhältnis dagewesen. Bis es hieß, der Eiskeller wird verkauft als Disco, als Großdisco. Da haben wir uns drum gekümmert, dass wir den kriegen. Damit waren die Reaktionskonzerte erledigt.
„Die Zeit war wirklich geprägt von anderen Dingen, von Politik“ – Währungsunion und Deutsche Einheit
Die Währungsunion und die Wiedervereinigung war bei uns eigentlich allen scheißegal, glaube ich. Das hatte keine Wirkung. Klar, hat man sich über das eine oder andere auch ein bisschen gefreut (lacht). Man fand das schon ganz gut, dass man mit seinem Geld in einem anderen Land bezahlen konnte oder so. Aber es hatte jetzt keine Bedeutung, für uns, glaube ich, für uns alle nicht. Die Grenzen haben sich zwar geöffnet am 9. November, aber ganz viele, die ich kenne, die in dieser Zeit mit uns zusammen waren, sind wirklich erst im Sommer 1990 aus Leipzig raus. Sind nicht in den Westen gefahren. Gar keine Zeit! Es war wirklich so. Weil es so aufregend war, war das gar nicht so Thema. Ich kenne da wirklich ganz viele. Ich bin erst am 30. März mal gefahren, das waren dann schon vier Monate. Und das ist ja eigentlich wahnsinnig lang, weil wenn Du die ganze Zeit eingeschlossen warst und dann nicht gleich am nächsten Tag irgendwo hinfährst, dann ist das schon viel, vier Monate nicht zu fahren.
Die Zeit war wirklich geprägt von anderen Dingen, von Politik: Eine Demo jagte die andere, ein Kongress... Ich würde sagen, von 1990 bis 2000 war das die ganze Zeit Politzeug und Antifa-Arbeit, eigentlich die ganze Zeit, durchgehend. Klar habe ich es mir auch noch im Leben gut gehen lassen. Ich habe auch mit Freunden Zeit verbracht und nicht-politische Dinge gemacht. Hatte auch mal eine kurze Auszeit, so 93 oder so.. Da war ich mal kurz in einem absoluten Party-Jahr, wo ich nur Party gemacht habe. Ich bin da auch raus, weil es einen Streit gab. Und ich bin dann wieder zurück, weil dann neue Leute dazugekommen sind, die gesagt haben, ach komm, komm doch wieder mit ins Conne Island! Und dann bin ich wieder mit hin.
Fraueneinlass und Antifaschistischer Frauenblock
Wir haben das mit dem Fraueneinlass auf den Konzerten einfach ausprobiert, weil wir dachten, das nimmt so eine gewisse Aggressivität am Einlass weg. Denn es war so, dass die Leute das jetzt gar nicht gewohnt waren. Die kamen aus dem Osten alle, und sind immer irgendwie in eine Disko reingekommen, indem sie sich ein bisschen mit den Schultern durchgekämpft haben. Und erst hat immer die Antifa Jugendfront den Einlass gemacht. Irgendwann habe ich dann gesagt, oder irgendjemand anders hat es gesagt: lasst uns als Frauen das mal machen. Und dann haben wir uns da hingestellt. Und dann drückten die auch wieder, und da hab ich dann gesagt, willst du jetzt irgendwie zeigen, dass du es richtig drauf hast? Oder bleibst du einfach mal stehen, und ich lasse dich rein, wenn es weitergeht? Und das hat verrückterweise vollkommen funktioniert. Nein, nicht verrückterweise, eigentlich logisch, dass die ein bisschen baff waren.
Das war gar nicht so eine Entscheidung, wir als Frauen machen jetzt auch mal was und fühlen uns gar nicht berechtigt. Es war mehr so intuitiv, komm, das ist doch gut, und fetzt doch auch, und macht auch Spaß. Wir haben auch den Einlass im Conne Island weitergeführt, aber nicht so häufig. Später, mit dem AFBL [Antifaschistischer Frauenblocks Leipzig] gab es dann richtig Fraueneinlass. – Es waren ja eh ganz wenige Frauen in den organisierten Gruppen, also wahnsinnig wenige. Auf jeden Fall alle (lacht) vom Einlass, alle fünf. Es gab einfach wenig Frauen. Auch in der Gegenwehr gegen Nazis.
Zur Entstehung des AFBL gibt es, glaube ich, verschiedene Geschichten. Eigentlich kamen da zwei, drei Sachen in kurzer Zeit zusammen. Einmal gab es eine Antifa Aktion, es wurde überlegt, wir sind so und so viele, und es sind so und so viele Nazis. Und dann wurden wir als Frauen immer zwei als eine Person gezählt. Und ich so: hallo?! Das war der eine Punkt, wo ich dachte, geht's noch? Die zweite krasse Geschichte war eine Aktion, wo ich die Infos hatte, so und so ist die Situation, das und das müsste man jetzt machen. Und alle haben so ein bisschen rumgeguckt. Und ich so: wir müssen uns beeilen! Bis ich gemerkt habe, dass sie gewartet haben, dass ein Mann sagt, jetzt geht es los. Tja, und dann war es zu spät. Die kannten mich ja alle sehr gut, aber dieses „auf die Plätze fertig los“ sollte eben ein Mann machen. Das war der Punkt, wo wir gesagt haben, irgendwie müssen wir die Bedingungen ändern. Ich wollte nie getrenntgeschlechtliche Politik machen. Aber ich hatte das Gefühl, man muss die Situation verändern. Und das hieß, wir müssen uns erst mal als Frauengruppe treffen und gucken, was wir hier verändern, was wir fordern können. Und dann haben wir uns eigentlich gegründet. Und den gibt es ja heute immer noch.
„Man muss sich da eben über die eigenen Bedürfnisse stellen“ – Politische Arbeit und persönliche Befindlichkeiten
In der Zeit, in der ich aktiv war, war es immer so, dass das Persönliche in der politischen Arbeit eher zurückstand. Was sich geändert hat, ist mir aufgefallen, seit ich in einem Hausprojekt mitmache, wo wir nicht politisch arbeiten, aber eben an einem Projekt zusammenarbeiten: dass das Individuum jetzt so wichtig ist. Mir fällt auf, dass heute eine viel stärke Ich-Bezogenheit existiert als früher. In meiner politischen Hochphase hat sich das „Ich“ viel stärker der Gruppe und der Sache untergeordnet. Und das fand ich auch gut so. Ich glaube, man hat der Sache gedient, und dabei hat man sich kennengelernt und war befreundet. Ich war nicht befreundet und hab deswegen einer Sache gedient. Also WIR waren immer zweitrangig. Die Ängste, die Gefühle, das Bauchschmerzengefühl im Plenum, wenn man sich untergebuttert fühlte, das war alles unwichtiger. Es ging immer um den Text, um die Demo, um den Aufruf. Und dabei sind wirklich viele hinten runter gefallen, die nicht so krass einstecken konnten. Ich bin, glaube ich, eine krasse Person, also dass ich das alles so ausgehalten habe. Ich wusste das aber nicht, dass ich so krass im Einstecken bin. Ist mir jetzt erst bewusst geworden, dass nur Leute auch wirklich durchgehalten haben, die auf irgendeine Art und Weise sich entweder eine Nische gesucht haben – oder eben krass waren.
Ich fand das sogar gut, auf eine gewisse Art und Weise. Weil ich trotzdem das Gefühl habe, dass, wenn man sich einer Sache widmet, es schon ganz gut ist, dass dann engagierte Leute zusammenfinden, die auch wirklich richtig viel dafür geben. Denn wenn alle sich nur wohlfühlen sollen, hast du dann ganz viele, die eben ganz oft Sachen nicht machen, die vereinbart waren. Das klingt jetzt doof, aber man muss sich da eben über die eigenen Bedürfnisse stellen. Also: Wenn ich jetzt einen Text schreiben musste – was selten war, das haben andere gemacht – oder korrigieren oder abtippen musste, dann habe ich da auch mal eine Nachtschicht gemacht. Ich habe jetzt nie gesagt, das hat gerade nicht gepasst oder ich war verliebt oder was. Ich habe nie was nicht gemacht, weißt du? Und ich glaube, wir waren da alle ein bisschen so. Du kennst es ja auch noch, oder, dieses sich selbst ausbeuten? Aber das war ja für eine Sache.
Oder auch die Ängste. Ich hatte teilweise wirklich Todesängste bei irgendwelchen Aktionen. Und ich bin immer wieder in diesen Bus gestiegen zu irgendwelchen Demos in irgendwelche Kacknester, wo ich dachte: was machst du? Aber ich habe mich immer damit motiviert zu sagen: Es geht nicht um dich. Ich habe mir dann immer gesagt: im Nationalsozialismus gab es ganz schlimme Sachen, DIE hatten wirklich ein Problem, du doch nicht. So habe ich mich dann immer motiviert, bin über jede Angst gegangen, und sicherlich manchmal auch über jede Kraft. Ich habe auch viel Energie, mir fällt es auch leichter als anderen. Und umso schwerer war es für mich dann später, bei den jetzigen Generationen damit klarzukommen, dass so sehr auf das Wohlbefinden der einzelnen Leute eingegangen wird. Also für eine Freundschaft und eine Liebe und Beziehung: ja! Aber für Gruppen bin ich nicht sicher, ob das so geil ist, also ob das so funktionieren kann. Zumindest ist es nicht sehr Erfolg versprechend, nach dem, was ich so merke (lacht).
Wo kommt das her bei mir? Ich glaube, das hat was mit DDR zu tun. Das Individuum hatte da ja gar keine Rolle gespielt. Man nimmt sich nicht so wichtig und so, und die Gemeinschaft zählt, auch wenn das viele abgelehnt haben. Meine Familie war jetzt auch nicht so, die hat sich jetzt auch nicht in der DDR wohlgefühlt. Aber das kriegtest Du ja von klein auf, in der Schule, im Kindergarten, überall eingeimpft, dass es nicht um Dich geht. Und ich glaube, wenn Du Dich einer Sache so verschrieben hast, dann auch aus einem eigenen Impuls heraus, dass Du Dich selber nicht so wichtig nimmst, weil das größer ist. In der Analyse der Linken und linker Gruppen wird aber schon klar, dass so auch viele Leute hinten runter gefallen sind. Heute werden Biografien mitbedacht, was weiß ich: Ängste, Familienproblematiken, Missbrauch, was eben damals die Leute sicherlich ja auch hatten. Aber es hat keine Rolle gespielt. Jetzt achtet man mehr darauf, dass man sagt: „Ja, wenn das die antriggert, dann kann man es so nicht machen“ und so. Aber es ist natürlich für Gruppenarbeit und für ein Ergebnis der Arbeit etwas hinderlich (lacht), logischerweise. Das ist ein längerer Weg dahin, glaube ich.
Streits und Spaltungen
Eigentlich ging das alles nach dem 11. September los. Da haben sich in der Linken zwei Fronten gebildet. Das ist der eine Punkt. Viele westdeutsche Gruppen, mit denen wir zu tun hatten, waren eher internationalistisch und antiimperialistisch eingestellt. In Leipzig ging es immer sehr stark um die kritische Auseinandersetzung mit dem NS und der Shoah. Deshalb galten wir als antideutsch – und vielleicht waren wir es auch. Das Existenzrecht Israels nie in Frage zu stellen war uns wichtig. Es gab also viele bundesweite Streits – aber auch in Leipzig. Zwischen der Theorie und der Praxisfraktion. Es gab aber auch mehr Diskussionen, Lesegruppen und, und, und.
Und der zweite Punkt war: bei den Streits hat nicht nur der eine seine Position vertreten oder die andere ihre Position, sondern es gab immer so extreme Reaktionen, nicht fruchtbare Diskussionen, sondern einfach nur Dissen. Wenn ich auf dem Podium saß, habe ich vorher schon Alpträume gehabt, weil ich Angst hatte – und ich bin eigentlich nicht ängstlich – , dass die mich da verbal fertig machen und ich dann gar nicht mehr in der Lage bin, weiter zu diskutieren, weil ich so angegriffen bin. Was bei mir dann auch das eine oder andere mal passierte.
Das Gefühl war die ganze Zeit da in den 2000ern, die ganze Zeit große Auseinandersetzungen. Die Leute haben sich auf den Demos nicht mehr ertragen können. Wenn die Situation so ist, dass du abends im Bett liegst und Angst hast, den nächsten Tag zu irgendeinem Plenum oder zu einer Podiumsdiskussion zu gehen, obwohl du nicht mal auf dem Podium sitzt, weil du auch nicht willst, dass andere Leute dumm gemacht werden, dann habe ich so gesagt, irgendwas haut nicht hin. Das stimmt nicht mehr. Du machst dir hier auch Arbeit und lebst das Leben, und willst dafür nicht die ganze Zeit Angst haben, dass du so verletzt wirst. Das heißt, Gefühle und Ängste und all das sind dann doch relevant. Weil es so persönlich wurde. Früher gab es auch Kritik, aber die war nicht so persönlich, die wurde eher an verschiedenen Standpunkten geübt, nicht so verletzend. Gut, da hatte ich noch das große Glück, dass es noch kein Insta gab und kein Twitter und so. Da wäre ich, glaube ich, gleich ausgestiegen. Das finde ich ganz schlimm, dass alles, was man sagt, irgendwo im Netz steht und stehen bleibt.
Ein Beispiel ist eine Diskussion des Conne Island, als sie 2016 thematisiert haben, dass sie nicht so richtig wissen, wie sie mit der Einlasspolitik umgehen sollen, mit den migrantischen Kids, dass sie einfach an ihren Grenzen stoßen. Da gab es nur Kritik. Und kein einziger Club hat sich gemeldet hat und gesagt, ja, wir müssen reden, wie man das lösen kann, ohne dass man rassistisch ist. Stattdessen: einfach nur wegreden das Problem. Das war aber ein richtig großes Problem im Conne Island. Das darf man aber nicht sagen, weil alles positiv besetzt sein muss. Was ich auch verstehe, aber ich fand es so mutig, dass sie gesagt haben, wir haben hier eine Not und wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen. Sie haben ja nicht gesagt: wir wollen die nicht hier haben, sondern: wir wollen wissen, wie wir es machen können. Die Konflikte sind so groß, Frauen bleiben weg. Die haben nicht nur gesagt, dass es ein bisschen unangenehm ist, sondern da sind richtig viele Vorfälle gewesen. Und da wollte man sich eben austauschen, ob es da Erfahrungen gerade in den alten Bundesländern gibt, also dass sie beispielsweise sagen, ja, wir haben das so und so gemacht. Das war eigentlich ein Hilferuf! Und der wurde SO bösartig breit kritisiert und angegriffen, mit Boykottaufruf und was weiß ich noch alles, oh Hilfe, ey! So sind eigentlich alle gezwungen, auf eine gewisse Art und Weise in einem linken Mainstream zu denken, und gar nicht mal zu sagen, irgendwie stimmt das auch nicht, wir müssen hier mal eine Diskussion führen. Dafür war das Conne Island ja auch immer bekannt, dass es eigentlich nicht so mitgeschwommen ist in dem, was links gerade angesagt war in Deutschland, sondern zu sagen, wir gucken noch mal, ob man einen neuen Aspekt finden kann.
„Die Alten könnten ja auch mal bleiben“ – über Ausstieg und Ausschluss
Auch in der Gruppe gab es viele Diskussionen, ehrlich gesagt auch viel über das Definitionsrecht. Das war ein großes Thema. Außerdem, was früher nicht so war, waren fast alle dann Akademiker*innen. Und ich komme ja nun wirklich gar nicht aus diesem Fach. Mir ist es auch einfach schwergefallen, Texte zu verstehen oder welche zu schreiben. Und da hatte ich dann das Gefühl, ich kann gar keine Impulse mehr setzen. Ich verstehe ein bisschen die Kritik, dass wir auch keine Antifa mehr machen sollten, obwohl ich die damals nicht geteilt habe. Ich habe auch verstanden, dass es andere so gesehen haben, dass man zu viel reagiert, zu wenig eigene Impulse setzt oder eigene Aktionen oder eigene Inhalte versucht zu fördern. Und an dem Punkt habe ich gemerkt, dass ich teilweise gebremst hab oder eben auch nicht mehr mitkam – oder es mir einfach wirklich keinen Spaß mehr gemacht hat. Ich habe auch nicht so richtig gesehen, wo das hingehen soll und was ich da überhaupt noch bewirken würde wollen und können. Also: ich hatte das Gefühl, dass es ist nicht mehr meine Gruppe ist. Und dazu noch diese Streits, die ja wirklich auch heute noch so sind, dass man sich lieber fast gegenseitig die Veranstaltungen stört statt in eine Diskussion zu gehen. Und das fand ich dann überhaupt nicht mehr reizvoll, und es hat mich einfach nicht mehr interessiert.
Und dann bin ich da so ganz langsam raus. Da habe ich auch gemerkt, dass ich das Feld den Jüngeren übergeben muss. Aber was ich trotzdem heute noch immer falsch finde an politischen linken Gruppen, ist, dass die immer nur gucken, wo kriegen wir neue Leute her?, und nie darüber nachgedacht haben, was machen wir eigentlich mit den ganzen alten? Die könnten ja auch mal bleiben, ohne dass es immer belehrend sein muss. Aber darüber wurde sich ja nie Gedanken gemacht, auch darüber, dass die ja natürlich in ein Loch fallen. Was mich auch so aufgeregt hat: da kamen oft irgendwelche Leute dazu, haben zwei Jahre rumkrakeelt, alles anders gemacht und sind dann wieder weg gewesen. Das typische Ausstiegsalter von 26 war da auch wirklich meistens Realität.
Unverständnis zwischen Ost und West
Anfang der 90er gab ja diese Veranstaltungsreihe, "Etwas Besseres als die Nation". Das war wirklich spektakulär. Das war so eine abgefahrene Veranstaltung. Im Nachhinein kann ich mir das nicht angucken, ich finde mich da auch zu peinlich. Aber wenn jemand kommt und sagt, bei Euch sind alles ja nur Nazis, bei Euch im Osten ist es Scheiße, und wir helfen euch mal, dann kriege ich so einen automatischen Verteidigungsmodus.
Die kamen aus dem Westen, so Bands, Theoretiker und Gruppen aus Hamburg vor allem. Und die wollten eigentlich was Gutes, glaube ich. Aber ich fühlte mich da total belehrt und hatte das Gefühl, ihr wisst überhaupt gar nicht, wie sich das hier anfühlt. Wir haben das Gefühl gehabt, die greifen uns an und waren sehr in der Verteidigungsstellung. Was aber eigentlich gar nicht nötig war. Die hatten ja auch Recht in manchen Dingen. Aber ich glaube, die Art und Weise war ein bisschen zu krass.
„Antifa-Arbeit zur Seite zu legen, das sieht man gerade am NSU, das war falsch“
Ich fand es ja schon länger wichtig, dass zu Antifa-Arbeit nicht nur Nazis kloppen oder ihre Veranstaltungen stören gehört, sondern weiter zu gucken, wie bei der Wurzen-Geschichte und der Sache mit dem rechten Konsens. Das ist ja auch eine Analyse und mehr Arbeit gewesen, als sich nur auf der Straße zu begegnen. Das fand ich ja schon auch, dass man sich länger Gedanken machen sollte und auch mal an ein paar Jahre weiter denken. Zum Beispiel, was man machen könnte, wenn man die alle aus der Stadt verjagt hat. Wo gehen die dann hin? Wenn Leipzig nazifrei ist, wo sind sie denn dann? Solche Analysen haben wir schon gemacht, aber natürlich nicht mit so einem theoretischen Überbau. Und ich finde heute auch unsere damalige Analyse falsch, dass der Staat unter der rot-grünen Bundesregierung 2001 die Antifa abgelöst hat – quasi als Staatsantifa. Dass das so eingeschätzt wurde, fand ich nicht ganz richtig.
Es stimmt schon, dass man sich vielleicht manchmal ein bisschen zu sehr darin eingekitscht hat. Und auch, dass da schon wirklich einiges von Seiten des Staates passiert ist, das man vielleicht manchmal nicht anerkannt hat. Und es war auch nachvollziehbar, dann zu sagen, okay, das ist jetzt nicht mehr unser Feld, wir gucken mal nach einem anderen Politik-Feld. Aber Antifa vollkommen zur Seite zu legen, das sieht man gerade am NSU, das war falsch. Wir hätten die vielleicht darauf bringen können, wo die sind. Das war, glaube ich, nicht ganz weit weg davon. Als das raus kam, habe ich mir gedacht, wir sind eigentlich mit Schuld. Weil wir das zu zeitig aufgegeben haben.
Hinterfragen, offen bleiben, Unterschiede leben – ein Erbe der 90er
Wie haben mich die 90er bis heute geprägt? Ich würde sagen, in ziemlich vielen Bereichen. Aber was mir vor allem immer wieder auffällt, ist, dass man Bedingungen, auch in einem linken Zusammenhang, die als vorgegeben erscheinen, dass man die immer wieder hinterfragen muss. Das fand ich in Leipzig ja wirklich besonders gut. Linke Zentren in den alten Bundesländern sind ja oft sehr geprägt von Drogenkonsum. Also die alten linken Läden hatten immer das Problem, das haben sie uns oft erzählt, dass die zerbrochen sind, weil die sich beklaut haben, wegen Beschaffungskriminalität, und weil natürlich die Leute, wenn die auf irgendwas waren, keinen Bock mehr hatten, was politisches zu machen. Sondern die Freiräume einfach genutzt haben, aber nichts dafür gemacht. Da haben wir relativ zeitig gesagt, da passen wir ja auf. Wir waren damals ja extrem drogenfeindlich, ganz extrem (lacht), weil wir das Gefühl hatten, das wird uns zerstören. Was ich also meine: dass man nicht immer alles das nimmt, was in anderen Gruppen in den alten Bundesländern schon vorgegeben wurde, sondern zu sagen, nee, da können wir noch mal neu gucken, ob das stimmt.
Und ein großes Erfolgserlebnis, was ich für mich heute noch mitnehme, ist der Punkt, dass wir im Conne Island nicht gesagt haben, dass bestimmte Musikrichtungen, wie Oi-Punk zum Beispiel, wo Leute hinkommen, die gerne harte Musik hören und manche so ein bisschen rechtslastig waren, nicht in den Laden kommen, weil das bringt Probleme, sondern dass wir gesagt haben, wenn wir die in unserem Laden binden, dann müssen die nicht zu Nazikonzerten gehen. Also immer so ein bisschen offen zu sein, auch für Leute, die zurückkommen, die mal Nazis waren, aber gesagt haben, ich hab da keinen Bock mehr drauf. Nicht zu sagen, nee, mit uns nicht, sondern eine gewisse Offenheit zu haben für verschiedene Ansätze und Subkulturen. Heute könnte man sagen, wir waren die besseren Sozialarbeiter. Deshalb lief das mit den Skinheads auch so super. Auch mit den ganzen Fußballprolls funktionierte das gut. Wir haben sie akzeptiert und nicht von oben belehrt. Aber auch klare Grenzen aufgezeigt.
Auch wichtig fand ich, diese Unterschiedlichkeit zu erleben, von Leuten, die ein wirklich super Elternhaus hatten bis zu wirklich katastrophalen Verhältnissen. Genauso in den Berufen – es gab ja viele, die kein Abitur hatten, kein Studium und trotzdem da ein Wirkungsfeld gefunden haben, ohne dass wir das thematisiert haben. Man wusste das gar nicht! Ich habe doch nicht gefragt, was hast du denn für einen Job? Darüber haben wir gar nicht geredet. Das hat man nur mitgekriegt, wenn jemand gesagt hat, ich habe Schicht. Dann hast du vielleicht mal gefragt, was machst du denn? Heute ist ja der zweite Satz, wenn man jemanden kennenlernt, was machst du beruflich? Ich glaube, das gab es da gar nicht.
Diese Offenheit habe ich mir, glaube ich, bewahrt. Ich kriege das jetzt zum Beispiel mit, es gibt ja in Leipzig viel Kritik an den jungen Antifas oder an den Ultras. Und da versuche ich immer, die Umstände zu sehen, in denen die sind, warum die dazu kommen, was denen ihr Betätigungsfeld ist und ihre Motivation. Dieses nicht eins-zu-eins oder schwarz-weiß Denken, das habe ich in den 90ern gelernt.
„Dass es sich eigentlich immer lohnt, was zu machen“
Und ehrlich gesagt, das klingt zwar total krass, aber ich habe zur Wende, zu DDR-Zeiten und auch in 90ern gelernt, dass es sich eigentlich immer lohnt, was zu machen. Das klingt jetzt total doof, wie so ein Schlusssatz. Aber auch wenn man das Gefühl hat, es würde nichts bringen, stimmt das nicht. Es bringt nur dann nichts, wenn man einfach nichts macht. Auch wenn man das Gefühl hat, man ist eigentlich hilflos. Man ist natürlich oft hilflos. Aber zum Beispiel, dass wir uns in Connewitz frei bewegen konnten, ohne Angst zu haben, das lag daran, dass wir super Antifa-Arbeit gemacht haben. Und ich glaube, das ging vielen so. Auch die Anti-Überwachungs-Demo fand ich gut. Also ich fand da schon vieles gut. Man ist ja immer hin- und hergerissen. Klar darf man die Zeit nicht einfach so hochhalten und sagen, früher war alles gut. Aber aus der damaligen Analyse heraus finde ich vieles richtig gut, was wir gemacht haben. Ich bin eigentlich nicht jemand, die sagt, früher war alles geil, das meine ich nicht, aber ich finde es richtig gut, was wir gemacht haben. Und das Conne Island steht noch. Es ist jetzt nicht mehr geil, aber steht noch (lacht).
Ein anderes Beispiel. Was mich eigentlich mein ganzes Leben zu Leuten immer hingetrieben hat, war, dass sie sich nicht als Opfer gefühlt und verhalten haben. Zum Beispiel in der DDR, da wurden die nicht konformen Jugendlichen fast immer Opfer des Regimes. Aber genau diese Opferrolle nicht anzunehmen und zu sagen: „Ihr macht mich zum Opfer – aber ich bin es nicht“, hat mir immer imponiert. Und ich glaube, das ist ein Punkt, der auch in den 90ern für mich so war. Wir waren keine Opfer. Wir hätten welche werden können, haben aber was dagegen getan.
Ich habe da einfach so viele positive Erfahrungen mit Zusammenhalt. Deswegen bin ich manchmal auch für Bewegungslinke. Wenn ich zu den Ultras gehe, als Zuschauerin – ich gucke die an, nicht das Fußballspiel – dann erkenne ich an den Gesichtern das wieder, was ich damals gefühlt habe. Du hast ein neues zu Hause, hast dich von deinen Eltern abgenabelt, du hast eine Gruppe gefunden, deine neue Familie. Es geht um Erwachsenwerden, es geht um Nicht-einsam-sein, es geht um den Sinn des Lebens, wir machen was gemeinsam. Nicht ich persönlich will einen schönen Abend haben in der Disko, sondern ich mit vielen Freunden. Und da muss ich manchmal eine stundenlange Choreographie vorbereiten – so wie wir damals stundenlang irgendwelche Transparente im Saal gemalt oder irgendwelche Hefte zusammengetackert haben. Es geht um die Gemeinschaft und dass du gemeinsam was machst. Das klingt jetzt sehr hippiemäßig, aber ich glaube, das war so. Auch, wenn ich manchmal politisch vielleicht gar keinen Bock gehabt hätte, was zu machen: schon, weil wir das alle zusammen gemacht haben, fand ich das immer gut. Ich glaube, das ist so. Da habe ich nur positive Erlebnisse, ich hatte da keine negativen. Klar, hattest du mal Angst. Und klar ist es auch mal schief gegangen. Klar sind wir mal zusammengehauen worden von den Bullen. Aber eigentlich war es nur gut. Und ich kenne fast niemanden aus meinem damaligen Kreis, der diese Phase nicht saugeil fand. Es war alles so offen und wir haben es so selbst bestimmt, es war irgendwie so frei, auf eine gewisse Art und Weise. Und Job und Geld – das hat alles keine Rolle gespielt.
Was ist heute anders? Das ging ja schon ziemlich zeitig los mit dem immer schön zum Studium gehen. Und ich habe bloß gedacht, dass die mal nach paar Jahren nicht sagen, das bringt auch kein Glück und es wieder weglassen. Aber es ist einfach nicht passiert (lacht). Also dieser Leistungsdruck, der ist ja viel, viel größer. Bei uns war der ja nicht. Die sind alle nur studieren gegangen, um nicht arbeiten gehen zu müssen. Eigentlich sie sind ja auch nicht mal zum Studium gegangen. Das ist komplett anders geworden. Es gab dann auch diese Arbeitslosen-Zeit, wo viele Angst hatten, wenn sie nicht das richtige lernen, dass sie keinen Job haben. Und die Eltern haben viel mehr Druck auf die Kinder ausgeübt. Das fiel mir dann auch auf: Wir haben jedes Weihnachten im Conne Island zusammen gefeiert. Alle waren froh, von ihren Scheiß-Eltern wegzukommen. Dann wurde es immer leerer zu Weihnachten, weil alle zu ihren Eltern gefahren sind, auch die ersten und zweiten Weihnachtsfeiertage. Da habe ich gedacht, hä? Wieso gehen die alle zu ihren Eltern? Ich fand es total absurd. Aber es haben sich auch die Familienverhältnisse geändert, die Eltern sind nicht mehr so oft scheiße, sondern auch angenehm und luxuriös, und es geht allen gut. Wir hatten ja so eine Notwendigkeit. Heute machst du ja Politik ein bisschen aus anderen Gründen. Du könntest auch weggucken. So richtig passiert dir ja nichts. Wir sind ja zusammengehauen worden von Nazis, wenn du nicht komplett normal aussahst. Das ist eine ganz andere Not. Oder dass du Räume brauchtest oder oder… Ich fand die 90er jedenfalls richtig gut.