Von Rassismus und zaghafter Solidarität

Die Nachwendezeit aus Sicht eines ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeiters in der DDR. Er arbeitete als Fleischer, Glaswerker, Gruppenleiter, Sozialarbeiter und Boxer in Berlin und Schwedt und blieb nach der Wende in der DDR und Deutschland. Er berichtet hier von seinen Erfahrungen mit Rassismus von der Nachwendezeit bis heute, aber auch von der Unterstützung seiner Boxkollegen und langsamen Verbesserungen bei Zivilcourage.

ID: VA03; Ort und Datum des Interviews: Berlin, 18.12.21

„Und der Hass wurde immer mehr“ – Der Beginn der Nachwendezeit

[…]  Als die Wende dann da war, da haben wir gedacht, oh, jetzt ist alles gut. Doch wir haben gemerkt, es war so schlimm, sehr schlimm. Ich habe auch gewechselt von Berlin, weil die Betriebe alle meine Leute rauswarfen, auch das Glaswerk Stralau, die habe ich begleitet bis zum Flughafen. Das war im Oktober, da sind sie zurück nach Mosambik, im September vorbereitet, im Oktober, ich glaube der 7. Oktober so, zurück. Habe ich begleitet bis zum Flughafen, da sind sie gegangen. Sie waren 176. […]

Und dann war das andere dann, dass die Leute wirklich Nachbarn waren und alles, da hat man gemerkt, alle verstehen sich nicht mehr so richtig. Und der Hass wurde immer mehr und immer mehr. Und dann gab es die, die sich die Nachfolger von Hitler nannten, aber waren nicht Nachfolger von Hitler, die waren schon Rechtsextremisten. Wir wussten auch nicht mehr, wer und wo und alles. Und dann sagten wir, wir konnten die erkennen, wir erkannten die durch die Glatze, Haare geschnitten so komische Stiefel und Hosen angezogen und dann hast du gleich gemerkt, oh, jetzt sind wir da, du musst gleich wegrennen. Und viele sind immer zusammengeschlagen worden.

Und dann aber nach der Wiedervereinigung, was alles hier losgegangen ist! Amadeu Antonio war aus Angola, aber es gab viele auch aus Mosambik, die auch getötet worden sind. Und es war auch nichts anderes als der Hass. Diesen Hass gab’s schon in der DDR und der wurde mit rübergenommen, weil die da jetzt wussten, wir sind ein demokratisches Land und das Volk hat was zu sagen. Und dann haben sie das natürlich gezeigt, nach der Wiedervereinigung. Deswegen war es so gefährlich nach der Wiedervereinigung.

„Aber ich bin nicht abgehauen“ - Alltag im Nachwende-Schwedt

"Und es ist nichts getan worden."

Meine Kollegen vom Verein in Schwedt an der Oder, die wollten mich unbedingt: komm hier zu uns und so. PCK war ein großer Betrieb damals und hat dann auch zugestimmt. Und die sagten: „Du bist Boxer von unserem Verein und du lebst hier mit uns und wir sind da, es passiert nichts mit dir.“ Aber natürlich, ich hab mich fast jeden Tag prügeln müssen, ich komme vom Training, da kommen die Jungen: „Hey, Du (N-Wort), was machst du hier bei uns? Guck mal ganz genau hier rum, hast du was gesehen, Junge, wir haben keine Bäume hier. Und hast du irgendwo einen Affen gesehen, so wie du? Ja, du hast hier nichts zu sagen. Seh mal zu, du hast hier jetzt 2, 3 Tage, da machst Du dich fertig und bist weg, wir wollen dich hier nicht mehr sehen. Weil du bist ein (N-Wort) und du gehörst dahin, wo die Affen sind. Hier sind keine Affen, hier sind auch keine Menschen so wie du!“ Ich war ganz allein in Schwedt an der Oder. Natürlich meine Erfahrung war der Boxverein, der Boxverein war wirklich da für mich, und die Kollegen, die mit mir geboxt haben, waren immer mit mir.

„Es war meine erfolgreiche Zeit“ – Solidarität im Boxclub

Aber was natürlich gut war, ich war direkt mittendrin im Boxen. Und durch das Boxen habe ich auch mein Leben, mein Geld und alles gut verdient. Nebenbei habe ich natürlich meine Tätigkeit auch gemacht, aber das war nicht viel, weil wir haben nur zwei, drei Stunden gearbeitet, und alle andere Zeit war anerkannt durch den Verein: Vorbereitung beim Boxen und am Wochenende ist Meisterschaft und so weiter alles. Das alles hat mich immer dann bestärkt, aber die Situation, dass ich nicht normal da leben konnte, war wirklich sehr hart.[...]

Da waren oft so viele Zuschauer, keiner hat was getan. Aber meine Mannschaft, wir waren immer nur circa 18 Personen und dann plus die Zuschauer, die mit uns dann alle mitgefahren sind, da waren schon genug da, und die haben mich immer, wenn der Boxkampf zu Ende war, begleitet, bis zum Bus und dann stiegen wir in den Bus und dann fuhren wir. Das war wirklich sehr kritisch. Aber durch diese Solidarität, dass alle, die mich gekannt haben, mich unterstützt haben und mir Kraft gegeben haben, war dann auch ok.

„Wir haben keinem Menschen Tschüß gesagt“ – Der Weggang aus Brandenburg

"Ich bin nie mehr zurückgekommen."

Aber nachher war nichts mehr so, weil ich hatte Kinder […] und dann waren sie auch irgendwann, auch 2008, 2010 waren sie natürlich auch schon größer, ne. […] Und ich hab’ dann gemerkt, wir müssen wir weg. Mein Sohn hatte ja Fußball gespielt. Und beim Fußball spielen ist dann die Gruppe gekommen und fing an zu attackieren. Der FC Schwedt hatte eine Manschaft, und mein Sohn war dabei. Die Mutter ist weiß und ich bin schwarz natürlich, das Kind also ist schwarz. Nicht so sehr dunkel, aber trotzdem, sie sehen, dass es ein schwarzes Kind ist. Und ein anderer Junge war aus Vietnam, da haben auch ihre Kinder dort Fußball gespielt. Und dann an dem Tag kam eine Gruppe von 18 Personen, und dann haben sie gestoppt. Ich war immer beim Fußball mit, weil ich wusste, dass hier immer eines Tages was passiert, und dieser Tag ist gekommen und dann haben sie gestoppt. Ja, stopp. Wir Zuschauer waren circa 175, 200 Leute da. Und dann kommen die, alle in schwarz, wie die immer angezogen waren, Bomberjacke in schwarz und so. Ich war ganz oben auf der Tribüne, weil ich habe die Mannschaft immer angefeuert. Ich habe extra meine Trompete, und immer Stimmung gemacht, die Jungs haben sich gefreut. Aber in dem Moment war nichts mehr mit Freude.

„Und dann fing das Gleiche an“ – Rassismus auch in Karlsruhe

In Karlsruhe waren wir drei Jahre ungefähr. Und dann fing es politisch mit dem gleichen Schicksal dort an, als Rechte auf der Straße mir Ärger gemacht haben. Auf einmal kamen plötzlich welche und haben mir Ärger mir gemacht. Da dachte ich, was ist los jetzt hier? Aber ich war sehr aktiv in der SPD in Karlsruhe. Ich hab das einem Stadtverordneten gesagt und alle haben das auch als Wahrheit genommen und dann richtig die Polizei informiert. Ein anderes Mal war ich im Zug nach Berlin, auf Besuch, und dann auf der Rücktour, hab ich wieder so eine Gruppe getroffen. Wieder haben sie Ärger mit mir gemacht, aber ich habe das normal gesagt. Und dann kam mein Sohn, er sagt, ja, sie haben ihn geärgert, aber nicht nur das. Aber die Polizei hat nicht so reagiert, diese Leute wegzuschaffen, sondern hat so reagiert: mich festgenommen und dann ins Revier gebracht.

Das war Karlsruhe. Und dadurch hat dann mein Sohn gesagt, „ich will weg!“. Sowieso, was er lernen wollte, studieren, war hier in Berlin. […] Und dann habe ich eine Weile danach gesagt, ich komme auch nach Berlin. Ja, und dann kam ich auch hierher. Seitdem bin ich hier und mein Sohn in Zehlendorf.  […] Und jetzt ist er schon seit 2 Jahren in Portugal, in Lissabon. Er ist dort und er fühlt sich ganz prima. Und er sagt, „Noch nie habe ich gedacht, dass ich so ein Leben krieg. Das ist wunderbar hier. Und ich möchte gar nicht mehr da hinkommen (lacht) nach Berlin oder sowas, nein!“

„Sein Opa hat gesagt, Ihr wart Sklaven“ – Rassismus der Migrationsgesellschaft und Zivilcourage

"...manchmal hat man die Jungs auch rausgeschmissen."

Auch die mit ihren Kindern, oder Kinder, die schon hier Bleibemöglichkeit haben, die machen auch Stress gegen Menschen mit einem anderen Aussehen. Wie die Gesellschaft. Mit anderen Merkmalen, mit bestimmten Merkmalen, dann sind auch die hinter dir her. Und also, die Kinder von den türkischen, oder arabischen Leuten sind sehr frech, und manchmal provozieren die mich einfach. In letzter Zeit fahre ich nicht mehr so oft nach Zehlendorf. Aber wenn ich fahre, in diese Richtung, dann kommen die. Ich sitze in der U-Bahn so, da kommen die: „Hey, du (N-Wort), was suchst du hier?“ Ja, Jungen! 17-Jährige, 18-, 20jährige! Und der sagt, „Ja, Du!“. Und da sitzen Erwachsene, und die sagen gar nichts. Die sagen gar nichts. Und die Jugendlichen sind 15 Personen. Und ich: was wollt ihr hier? – „Ja, wir wollen, dass du aussteigst.“ – Ich steige nicht aus. Und oft ist es immer eine Frau, die was sagt, einmal war es eine ältere Dame, die war so 50, 55. Die ist aufgestanden und hat gesagt: „Jungs, ihr steht jetzt auf. Die U-Bahn hat angehalten, ihr geht jetzt raus.“ Und dann kamen noch die Männer, die saßen in der Kabine, und die Jungs sind aufgestanden. Und dann sind die Jungs rausgeschmissen worden und wir fuhren weiter. Blissestraße, da bin ich umgestiegen. Dann bin ich weiter nach Zehlendorf gefahren. Es gab da oft Ärger hin, Ärger her. In der letzten Zeit, jetzt zwei, drei Monate, habe ich keinen Ärger erlebt.