Und dann haben sie „stop!“ gerufen: „Wir haben einen Auftrag, unser Auftrag ist von Hitler. Der hat gesagt, wir müssen den Huren-[N-Wort)]Sohn da, vom Fußballplatz, den heute töten. Und dann das [F-Wort-]Kind da auch, töten wir auch. Aber zuerst der Huren[N-Wort]sohn. Und die wussten nicht, dass ich da war, ganz oben. Und ich habe gemerkt, irgendwas stimmte nicht. Ich bin gerannt zu dem, der meinte, er ist im Auftrag da und so. […] Beim Fußball gibt es immer so Stangen, ne, am Fußballstadion. Und dann ich war da an dieser Stange und hab gesagt: Der Huren[N-Wort]sohn, ich bin da. Und ich verantworte ihn, mich als ersten töten. Die Leute, echt, Nachbarn, sind abgehauen, alle, weg. Keiner hatte sich getraut den anzugreifen. Und dann habe ich gesagt, nein. Ich gucke nicht zu. Die Fußballspieler, der Huren(n-Wort)sohn und das [F-Wort]kind waren in der Mitte auf dem Fußballplatz. Und da haben schon die Kollegen und alle, die mitgespielt haben, die Deutschen, haben sie schon zugedeckt mit Decken, also der Trainer hat immer solche Decken, wenn einer verletzt ist, mit denen haben sie sich zugedeckt und sich weggeschmuggelt auf der anderen Seite, verstecken. In dem Moment haben sie sich mit mir beschäftigt, diese Truppe und dann ich habe gesagt, ich sag euch was.
Und dann aber gab's eine Frau, die ist einfach abgehauen da, irgendwo, hat die Polizei angerufen. Und das hat ziemlich gedauert, nach 17 Minuten circa war die Polizei da. Ja, Gott sei Dank, manchmal waren bei der Polizei auch Rechtsextreme. Wenn die Informationen bekommen haben, haben sie nichts getan. Aber an dem Tag waren die Polizisten da, und alle zack, Handschellen, dann haben sie ein großes Auto mitgebracht, so einen Bus. Haben sie alle reingepackt und dann mitgenommen. Und mir haben sie gesagt, kommen Sie zu uns dann, zur Polizei. Ich bin dann da hin gefahren zusammen mit meiner Ex-Frau. Und dann sagten sie, „ja, wir wollten euch nur mitteilen, dass die bei uns bleiben, die Leute, aber wir müssen gucken, wenn wir keine Nachweise haben, was gesprochen oder geplant war, dann können wir nichts machen. Wir haben kein Video oder irgendwas, damit wir hören, was sie gesagt haben. Naja, wir behalten die hier, aber es kann sein, dass so gegen Mitternacht müssen wir die entlassen. Laut dem Grundgesetz ist es nicht erlaubt, dass die da ewig einfach so bleiben, ohne das nachzuweisen.“ – Ok wir müssen dann natürlich was machen, was machen wir denn jetzt, das war ein Problem. Dann kam einer von uns, es war kein Nachbar, aber so ein Fahrer. Er sagte, es ist besser, wir organisieren ein Auto. Und ich habe gesagt, nein, ich habe einen Rechtsanwalt. Weil ich hatte einen Rechtsanwalt, der sich immer wieder um Sachen gekümmert hat. Und dann kam er mit seinem Auto. Und er kam auch aus Stuttgart. Früher hatte er dort gelebt. Aber ging er nach Schwedt nur für seinen Beruf als Rechtsanwalt. Und er sagte, „ja, ich nehme euch jetzt ihr alle, geht in mein Auto, und einfach Kopf runter.“ Also ich und meine Kinder, den Kopf nach unten, damit man nicht sieht, mit wem das Auto gefahren ist. Ja und dann sind wir losgefahren. Wir sind am Abend los, so 17 Uhr, es war zu der Zeit auch schnell dunkel. „Wir fahren“, sagt der Rechtsanwalt, „nach Stuttgart“. Ich kannte Stuttgart noch nicht, hab immer gefragt, wann kommen wir denn an, und er sagt, „ja es ist weit“. Wir waren dann, weiß nicht wann, da, drei Uhr oder vier Uhr. Und dann gleich in einem Ferienhaus. Der Rechtsanwalt hat schon einen Brief geschrieben und diesen Brief wird er abgeben bei der Staatsanwaltschaft: „Und die helfen euch weiterhin“. Ok, und dann hatten wir ein Ferienhaus. Und wollten wissen wie lange. Und der Rechtsanwalt sagt, „circa 20 bis 30 Tage müssen Sie hier bleiben“, und so weiter. Und dann sagt er, „ihr wollt auch nicht mehr zurück dahin. Da ist die Situation sehr kritisch und ich möchte nicht zusehen, wie da einer getötet wird.“
Ja, das war das Jahr 2010. Es war im Monat Mai. Ja, und dann sind wir da geblieben, und da mussten wir uns natürlich orientieren, uns ein neues Leben aufbauen. Stuttgart sagte, wir haben keine Wohnung für euch, weil für eine vierköpfige Familie ist das problematisch. Und dann hatte sich Karlsruhe gemeldet: „Wir haben einen Lehrer, der immer in Berlin ist. Er hat jetzt entschieden, in Berlin für immer zu leben. Und die Wohnung ist frei. Ihr bekommt diese Wohnung. Geht mal gucken, wir wollen euch nicht zwingen. Ihr guckt, ob es passt oder nicht.“ Wir sind gegangen, haben geguckt, war perfekt. Drei Zimmer. Ein Zimmer für die Eltern und zwei für die Kinder, weil für meine Tochter und meinen Sohn mussten wir getrennte Zimmer auch haben. War alles da. Wir nehmen das, wir haben auch keine andere Wahl, wir freuen uns sehr. Und so sind wir weggegangen von Schwedt. Und wir haben keinem Menschen Tschüß gesagt, gar nichts.
Ich bin nie mehr zurückgekommen. Nur einmal, das war ein oder zwei Jahre später, da war eine Recherche. Das war noch nicht die Idee, das Buch zu schreiben, aber es war eine Recherche und die Journalistin wollte alles genau wissen. Die war vom RTL Fernsehen, die wollten alles richtig aufnehmen und dann auch das präsentieren, veröffentlichen. Und die haben mit mir gesprochen, dass wir eine Fahrt machen müssen nach Schwedt an der Oder. Und dann wir sind gefahren. Wir sind sogar an den Bürgermeister rangekommen. Sie haben den Bürgermeister gefragt, wie ist das. Er sagt, „na ja, ich konnte da nichts machen.“ […] „Wir können nichts machen“, sagt er, der Bürgermeister. – „Ja, aber das ist eine sehr bewegende Story und die müssen wir veröffentlichen.“ Und der Bürgermeister sagt, nee, nur wenn er selber einverstanden ist. RTL sagt, „ja warum soll er nicht einverstanden sein, wenn er sein Kind hier getötet wird“ – und dann sagt er ja. [...]