Save me Konstanz: Beim Ankommen Schritt für Schritt begleiten

2013 entstand mit Unterstützung des Konstanzer Gemeinderates die Initiative save me Konstanz - inspiriert von einer 2008 in München gestarteten Kampagne des Bayerischen Flüchtlingsrates. Die Kernaufgabe von save me Konstanz ist die Begleitung Geflüchteter beim Ankommen in Deutschland, etwa durch Unterstützung beim Spracherwerb, bei der Orientierung im Alltag, der Suche nach Ausbildung, Arbeit, Wohnung und Freizeitbeschäftigung. Zwischen 2015 und 2017 erlebte save me einen enormen Zulauf. Studierende, Berufstätige oder Rentner*innen brachten sich in den Verein ein, z.B. in der damals eingerichteten Kleiderkammer für Geflüchtete - so auch die Erzählerin, die bis heute bei save me aktiv ist.

Ort und Datum des Interviews: Konstanz, 1.7.2021

Noch nie mit Geflüchteten gearbeitet – und dann kam 2015

Kleiderkammer, 2015 (Bild: save me)

Ich war immer im sozialen Bereich tätig gewesen, auch nachdem ich aufgehört habe zu arbeiten. Im Sommer 2015 habe ich, nach zehn Jahren, meine Beschäftigung in der Kinderhospizarbeit beendet und wollte einfach mal nichts tun. Dann kam der Herbst, und wir haben abends die Nachrichten gesehen. Ich saß in meinem gemütlichen Sessel und habe gedacht: ‚Das geht nicht. Ich kann hier nicht sitzen und mir das immer einfach nur anschauen.’ Es war klar, dass ich irgendetwas machen muss. In dem Bereich der Geflüchtetenarbeit war ich noch nie tätig. In der Schule bzw. in der Nachbarschaft wurden während der Kosovo-Kriege Häuser gebaut, und damals hatten wir Kontakt, auch mit den Nachbarn. Wir hatten auch geflüchtete Kinder in der Schule. Aber ich war selbst nie in der Flüchtlingshilfe aktiv. Und ja, wie fängt man dann an? Also ich hatte keine Erfahrung und war anfangs erst einmal etwas vorsichtig. Damals gab es hier die Kleiderkammer von save me. Dann hab ich auch in meinen Kleiderschrank geguckt, was ich abgeben kann. Es gibt ja immer Sachen, die man nicht mehr braucht oder trägt, und habe dann den ersten Kontakt mit der Kleiderkammer aufgenommen, und, als ich meine Sachen gebracht habe, gefragt: „Könnt ihr jemanden gebrauchen?“. So, das war mein Einstieg.

Von der Helferin in der Kleiderkammer zur Sprachpatin

Mit der Zeit haben sich die Bedürfnisse geändert. Die Kleiderkammer war natürlich hochaktuell in der ersten Zeit. Dann bin ich in die Sprachunterstützung eingestiegen. Save me hat immer ehrenamtlich Sprachhilfe angeboten, in Kleingruppen oder auch einzeln. Das habe ich dann eine Zeit lang gemacht, und dort habe ich viele Leute persönlich kennengelernt. Das war so der Einstieg in die persönlichen Kontakte. In der Kleiderkammer war es eher oberflächlich. Und dann wurde einmal von save me ein Rundschreiben geschickt: Ein junger Afghane soll einen Bundesfreiwilligendienst in einer Schule machen, in meiner ehemaligen Schule. Da hab ich gedacht‚ ‚Na ja, das ist ja wie so ein Lasso, da muss ich mich ja melden.‘

Wo mein Herz dran hängt

Deutschunterricht (Bild: save me)

Das war dann meine erste wirklich persönliche Begleitung. Wir haben immer noch engen Kontakt. Es war auch der junge Mann, bei dem ich zum ersten Mal einen Härtefallantrag gestellt habe, weil für mich klar war, er sollte bleiben können. Bei ihm war natürlich bisher auch alles abgelehnt worden, wie bei vielen oder den meisten jungen Afghanen. Sie kriegen in der Regel kein Bleiberecht. Alle haben gesagt: „Bringt nix! Die lehnen alles ab“, und so. Nein, er hat ein Bleiberecht bekommen durch den Härtefallantrag! Er muss jetzt auch wieder neu beantragen, aber er hat sich von Anfang an immer um Arbeit bemüht. Und das ist auch die Voraussetzung dafür. Also, das war mein erster Erfolg auf dieser Ebene, und dies nach allen möglichen Behördengängen im Vorfeld. 

Mit der Bürokratie ist es ein Wahnsinnskampf

Dann habe ich noch eine somalische Familie. Erst war es ein junger Mann, der Asyl hier bekommen hatte und der drei Jahre um seine Familie in Somalia gekämpft hat, um Frau und Tochter. Jetzt im Februar sind die beiden erst nach Deutschland gekommen. Das sind kleine Feste. Ich habe drei Jahre mit dem jungen Somalier dafür gekämpft, dass das etwas wird, und habe auch alle politischen Fäden gezogen. Es war auch so, dass immer wieder die gleichen Fragen gestellt wurden. Es gibt in Somalia keine Urkunden, so wie eine Heiratsurkunde, wie bei uns. Ich habe immer gedacht, wie machen die das? Es ist ja auch schwierig, so lange getrennt zu sein, und das Kind hatte er ganz wenig erlebt. Er musste in der Trennungszeit auch immer wieder gegenüber den Behörden beteuern, dass er Kontakt zu seiner Familie hat. Ich meine, er hatte täglichen Kontakt. Jedenfalls kann dann im Februar seine Frau mit dem sechsjährigen kleinen Mädchen. Und jetzt ist es so schön.

Meine Spezialität: Härtefallanträge

Ja, die afghanischen Geflüchteten haben wahnsinnig lang gewartet, bis überhaupt etwas entschieden war. Ich kenne immer noch welche, die 2015 gekommen sind, bei denen bis heute noch keine Entscheidung gefallen ist. Aber wenn die Entscheidungen jetzt fallen, und sie fallen in der Regel negativ aus, dann versuchen wir sie irgendwie zu unterstützen. Die Voraussetzung ist: Sie brauchen eine Arbeit, sie müssen nachweisen, dass sie ihren eigenen Unterhalt verdienen, also keine Kosten mehr verursachen, dem Staat nicht irgendwie auf der Tasche liegen sozusagen. Und wenn der Arbeitgeber das dann unterstützt, dann versuchen wir, die Aufenthaltsgenehmigung über diesen Weg zu kriegen. Bis jetzt hat es einmal geklappt. Ich habe zur Zeit zwei junge Afghanen, die einen Härtefallantrag brauchen, und sie sind beide in der Gastronomie beschäftigt. Dann brauche ich immer Informationen, wenn ich die Betroffenen persönlich noch nicht so gut kenne, aber bei denen offensichtlich auch die Arbeitgeber es unterstützen, dass sie ein Bleiberecht bekommen. Das ist eine Voraussetzung, sonst klappt das nicht.

Unter Corona fiel das natürlich plötzlich weg

Save me Fahrradwerkstatt vor Corona (Bild: save me)

In den Unterkünften gab es vor Corona eine wöchentliche Save me-Sprechstunde. Und in der Pfarrei hatten wir einen Kaffeenachmittag. Da gab es etwas zu essen und zu trinken, und da konnte jeder hinkommen, sowohl Geflüchtete als auch Nicht-Geflüchtete. Und da saßen manchmal zwei und haben miteinander gelernt oder gespielt. Man hat natürlich auch neue Leute eingeladen: „Ja kommen Sie doch einfach mal dahin“, und so. Manchmal hat man Leute schon gleich zusammengebracht. Ja es waren, ich würde mal sagen, oft 20 Leute gleichzeitig da oder so. Und das fiel natürlich plötzlich total weg. Und jetzt haben wir auch wieder so angefangen, bei hoffentlich gutem Wetter draußen oder auch in der Pfarrei, die hat so einen kleinen Innenhof. Jetzt diesen Montag fand das nun schon zum zweiten Mal statt. Da können die Leute wieder hinkommen. Es gibt nix zu essen und nix zu trinken, so weit sind wir noch nicht. Aber es kommen Leute. Das wird sich auch wieder mehr und mehr einspielen.

Trotz Corona: Regel bleibt Regel

Jetzt in der Corona-Pandemie, viele hatten ja in der Gastronomie gearbeitet und man weiß ja, wie das da geworden ist. Manche haben Kurzarbeit gehabt, aber wenn man schon wenig verdient und dann noch in Kurzarbeit ist, bleibt nicht mehr viel. Manche haben ihre Stellen verloren, und dann war das auch ganz schwierig. Natürlich brauchten sie dann irgendwo anders Geld her. Aber wenn sie arbeiten und verdienen, müssen sie ihre Miete auch in den Heimen bezahlen, die ist nicht wenig. Ich glaube, ein Bett kostet 350 Euro oder so. Egal, ob man jetzt mit mehreren im Zimmer ist oder nicht. Und diese Miete blieb bestehen. Da gab es auch furchtbare Sachen, wo einfach die Behörden so zäh waren, und man konnte sie nicht erreichen und nicht hingehen. Und keiner hat irgendwie mal gesagt: „Das müssen wir jetzt einfach so machen, weil die Situation so ist, damit wir die Menschen unterstützen können”. Nein! Ja, das ist schon zermürbend. Aber es ist kein Grund für mich aufzuhören. Viele haben ja aufgehört. 2015 oder 16 gab es ja einen Boom an Menschen.

Auch wer schon gut Deutsch spricht, braucht manchmal Hilfe

Save me Helferfest, 2019 (Bild: save me)

Ja, und der Bedarf hat sich auch geändert. Am Anfang war es wirklich so: Dach über den Kopf, anziehen, irgendwie versorgen, dass die irgendwie wissen, wo müssen sie hin oder so – so, die ersten grundlegenden Dinge. Aber dann hat es sich natürlich ausdifferenziert, es kamen Sprachkurse hinzu. Manche haben keine bekommen. Einige hatten ja Anspruch darauf. Die Afghanen aber hatten zum Beispiel keinen Anspruch, weil Afghanistan ist ja ein sehr sicheres Herkunftsland. Mal gucken wie lange es das noch bleibt. Jetzt habe ich gerade vorhin eine Nachricht bekommen: Nächste Woche ist wohl wieder eine Abschiebung nach Afghanistan geplant. Da sträubt sich natürlich alles in mir. Ich kann das nicht richtig nachvollziehen.

Erfolgsgeschichten auch weitererzählen

Oft kriegt man von Leuten, die nicht so aktiv sind, gesagt: „Man liest immer nur Probleme. Jetzt ist wieder etwas Schlimmes passiert oder es ist jemand abgeschoben worden." Natürlich geht es auch immer wieder darum und man soll das Negative jetzt nicht unter den Teppich kehren, keine Frage. Aber es geht eben auch mal darum zu sagen, vieles gelingt ja. Nicht alles. Natürlich kann es das auch nicht. Aber vieles gelingt, und viele Menschen strengen sich an. Ich finde, das muss man auch mal transportieren. Das heißt nicht, dass man diese Brüche nicht auch mit aufnehmen und sehen muss. Aber es gibt eben auch die andere Seite, dass man einfach mal zeigt, okay, da sind jetzt Leute, die haben Arbeit; die wohnen, die haben eine Ausbildung gemacht und so, also einfach solche Geschichten. Ich habe noch eine iranische Familie, zwei erwachsene Kinder, und die Mutter hat jetzt mit 50 Jahren den Busführerschein gemacht und hat jetzt bei den Stadtwerken eine Stelle angetreten. Sie hat noch Probezeit, es ist sehr schwierig. Ich bin noch nicht sicher, ob sie das hinkriegt, aber sie strengt sich wahnsinnig an, und sie war Fahrlehrerin im Iran. Ich wusste nicht, dass Stadtbusfahren so kompliziert ist. Also, ich kriege es jeden Tag auch erzählt. Es ist echt dramatisch zum Teil, und ich hoffe natürlich sehr, dass sie das schafft und die Probezeit übersteht. Aber ich meine, sie hat sich wahnsinnig angestrengt. Sie hat B2 gemacht, ja, und sie sind auch seit, ich glaube, Anfang 16 hier. Das sind doch Erfolgsgeschichten, finde ich.

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