Ich war immer im sozialen Bereich tätig gewesen, auch nachdem ich aufgehört habe zu arbeiten. Im Sommer 2015 habe ich, nach zehn Jahren, meine Beschäftigung in der Kinderhospizarbeit beendet und wollte einfach mal nichts tun. Dann kam der Herbst, und wir haben abends die Nachrichten gesehen. Ich saß in meinem gemütlichen Sessel und habe gedacht: ‚Das geht nicht. Ich kann hier nicht sitzen und mir das immer einfach nur anschauen.’ Es war klar, dass ich irgendetwas machen muss. In dem Bereich der Geflüchtetenarbeit war ich noch nie tätig. In der Schule bzw. in der Nachbarschaft wurden während der Kosovo-Kriege Häuser gebaut, und damals hatten wir Kontakt, auch mit den Nachbarn. Wir hatten auch geflüchtete Kinder in der Schule. Aber ich war selbst nie in der Flüchtlingshilfe aktiv. Und ja, wie fängt man dann an? Also ich hatte keine Erfahrung und war anfangs erst einmal etwas vorsichtig. Damals gab es hier die Kleiderkammer von save me. Dann hab ich auch in meinen Kleiderschrank geguckt, was ich abgeben kann. Es gibt ja immer Sachen, die man nicht mehr braucht oder trägt, und habe dann den ersten Kontakt mit der Kleiderkammer aufgenommen, und, als ich meine Sachen gebracht habe, gefragt: „Könnt ihr jemanden gebrauchen?“. So, das war mein Einstieg.
Save me Konstanz: Beim Ankommen Schritt für Schritt begleiten
Noch nie mit Geflüchteten gearbeitet – und dann kam 2015
Von der Helferin in der Kleiderkammer zur Sprachpatin
Mit der Zeit haben sich die Bedürfnisse geändert. Die Kleiderkammer war natürlich hochaktuell in der ersten Zeit. Dann bin ich in die Sprachunterstützung eingestiegen. Save me hat immer ehrenamtlich Sprachhilfe angeboten, in Kleingruppen oder auch einzeln. Das habe ich dann eine Zeit lang gemacht, und dort habe ich viele Leute persönlich kennengelernt. Das war so der Einstieg in die persönlichen Kontakte. In der Kleiderkammer war es eher oberflächlich. Und dann wurde einmal von save me ein Rundschreiben geschickt: Ein junger Afghane soll einen Bundesfreiwilligendienst in einer Schule machen, in meiner ehemaligen Schule. Da hab ich gedacht‚ ‚Na ja, das ist ja wie so ein Lasso, da muss ich mich ja melden.‘
Wo mein Herz dran hängt
Das war dann meine erste wirklich persönliche Begleitung. Wir haben immer noch engen Kontakt. Es war auch der junge Mann, bei dem ich zum ersten Mal einen Härtefallantrag gestellt habe, weil für mich klar war, er sollte bleiben können. Bei ihm war natürlich bisher auch alles abgelehnt worden, wie bei vielen oder den meisten jungen Afghanen. Sie kriegen in der Regel kein Bleiberecht. Alle haben gesagt: „Bringt nix! Die lehnen alles ab“, und so. Nein, er hat ein Bleiberecht bekommen durch den Härtefallantrag! Er muss jetzt auch wieder neu beantragen, aber er hat sich von Anfang an immer um Arbeit bemüht. Und das ist auch die Voraussetzung dafür. Also, das war mein erster Erfolg auf dieser Ebene, und dies nach allen möglichen Behördengängen im Vorfeld.
Am Anfang sprach er so gut wie kein Wort Deutsch, er war quasi wie ein Analphabet. Und wir haben dann ganz intensiv mit Buchstaben, wie man das in der Schule auch macht, angefangen, ein bisschen Lesen zu lernen. Er hat dann auch einen Intensiv-Sprachkurse belegt, an der Volkshochschule und jetzt mit A2 abgeschlossen. Also, das ist meine erste enge Begleitung gewesen und ja, sie besteht immer noch. Das ist einfach gut und da hängt dann schon das Herz dran. Aber ich habe mittlerweile auch noch andere, wo mein Herz dran hängt. Er ist nicht der einzige geblieben.
Mit der Bürokratie ist es ein Wahnsinnskampf
Dann habe ich noch eine somalische Familie. Erst war es ein junger Mann, der Asyl hier bekommen hatte und der drei Jahre um seine Familie in Somalia gekämpft hat, um Frau und Tochter. Jetzt im Februar sind die beiden erst nach Deutschland gekommen. Das sind kleine Feste. Ich habe drei Jahre mit dem jungen Somalier dafür gekämpft, dass das etwas wird, und habe auch alle politischen Fäden gezogen. Es war auch so, dass immer wieder die gleichen Fragen gestellt wurden. Es gibt in Somalia keine Urkunden, so wie eine Heiratsurkunde, wie bei uns. Ich habe immer gedacht, wie machen die das? Es ist ja auch schwierig, so lange getrennt zu sein, und das Kind hatte er ganz wenig erlebt. Er musste in der Trennungszeit auch immer wieder gegenüber den Behörden beteuern, dass er Kontakt zu seiner Familie hat. Ich meine, er hatte täglichen Kontakt. Jedenfalls kann dann im Februar seine Frau mit dem sechsjährigen kleinen Mädchen. Und jetzt ist es so schön.
Die Kleine konnte nach zwei Wochen in eine Vorbereitungsklasse in die Schule gehen. Und jetzt hat er mir gestern erzählt, nach einem Gespräch in der Schule mit den Lehrern, dass sie jetzt tatsächlich in die erste Klasse kann. Das finde ich enorm. Sie geht wahnsinnig gerne in die Schule, und es ist die helle Freude, das zu sehen. Das sind dann so die Erfolge, die man dann auch genießen kann. Aber was alles so dahinter steckt. Es ist oft ein Kampf, ein Wahnsinnskampf. Wir haben die Bürokratie schon über. Also, wenn ich verzweifele, dann ist es nicht über die Menschen. Mir ist schon klar, es gibt sicher Menschen, die wenig beitragen zu dem, was sie hier sollen oder wollen. Aber das Problem habe ich nicht. Ich kenne viele, aber ich kenne niemanden, wo ich jetzt sagen würde: „Also, der macht mich jetzt ganz verrückt.“ Aber es ist wirklich die Bürokratie. Es ist das Drumherum. Und das bringt mich manchmal zur Verzweiflung.
Meine Spezialität: Härtefallanträge
Ja, die afghanischen Geflüchteten haben wahnsinnig lang gewartet, bis überhaupt etwas entschieden war. Ich kenne immer noch welche, die 2015 gekommen sind, bei denen bis heute noch keine Entscheidung gefallen ist. Aber wenn die Entscheidungen jetzt fallen, und sie fallen in der Regel negativ aus, dann versuchen wir sie irgendwie zu unterstützen. Die Voraussetzung ist: Sie brauchen eine Arbeit, sie müssen nachweisen, dass sie ihren eigenen Unterhalt verdienen, also keine Kosten mehr verursachen, dem Staat nicht irgendwie auf der Tasche liegen sozusagen. Und wenn der Arbeitgeber das dann unterstützt, dann versuchen wir, die Aufenthaltsgenehmigung über diesen Weg zu kriegen. Bis jetzt hat es einmal geklappt. Ich habe zur Zeit zwei junge Afghanen, die einen Härtefallantrag brauchen, und sie sind beide in der Gastronomie beschäftigt. Dann brauche ich immer Informationen, wenn ich die Betroffenen persönlich noch nicht so gut kenne, aber bei denen offensichtlich auch die Arbeitgeber es unterstützen, dass sie ein Bleiberecht bekommen. Das ist eine Voraussetzung, sonst klappt das nicht.
Mein erster Härtefallantrag – den Betroffenen kannte ich persönlich – ist mir nur so aus der Feder geflossen. Da hatte ich überhaupt kein Problem, etwas zu schreiben. Beim Härtefallantrag geht es ja darum: Warum soll er jetzt bleiben können? Das Rechtliche spielt eigentlich keine Rolle mehr. Der Punkt ist natürlich Integration, alle Aspekte sind da wichtig. Ja, also: Arbeitet er ehrenamtlich? Was macht er? Er hatte jetzt zum Beispiel einen Bundesfreiwilligendienst gemacht, ein Jahr, das ist ja schon was. Das ist alles wichtig: Sport und so weiter. Jeder, der sich irgendwie äußern möchte, soll das bitte tun: Sportkollegen, Vermieter, irgendwelche Freunde oder eben Leute, die ihn begleiten. Und unsere grüne Abgeordnete, die unterstützt in der Regel die Sachen auch. Der gebe ich das dann auch. Und sie setzt sich dann zusätzlich noch dafür ein. Ich hoffe, die Anträge für die zwei Afghanen klappen jetzt auch.
Unter Corona fiel das natürlich plötzlich weg
In den Unterkünften gab es vor Corona eine wöchentliche Save me-Sprechstunde. Und in der Pfarrei hatten wir einen Kaffeenachmittag. Da gab es etwas zu essen und zu trinken, und da konnte jeder hinkommen, sowohl Geflüchtete als auch Nicht-Geflüchtete. Und da saßen manchmal zwei und haben miteinander gelernt oder gespielt. Man hat natürlich auch neue Leute eingeladen: „Ja kommen Sie doch einfach mal dahin“, und so. Manchmal hat man Leute schon gleich zusammengebracht. Ja es waren, ich würde mal sagen, oft 20 Leute gleichzeitig da oder so. Und das fiel natürlich plötzlich total weg. Und jetzt haben wir auch wieder so angefangen, bei hoffentlich gutem Wetter draußen oder auch in der Pfarrei, die hat so einen kleinen Innenhof. Jetzt diesen Montag fand das nun schon zum zweiten Mal statt. Da können die Leute wieder hinkommen. Es gibt nix zu essen und nix zu trinken, so weit sind wir noch nicht. Aber es kommen Leute. Das wird sich auch wieder mehr und mehr einspielen.
Wir kriegen natürlich immer noch Spenden von Möbeln, Kleidung, Geschirr, alles Mögliche. Wir haben nur ein kleines Lager dort und haben dann letzten Sommer auch dreimal alles draußen aufgebaut, dass die Leute gucken können, was sie brauchen, so einen kleinen Basar zum Ausgeben, Verschenken natürlich. Das läuft jetzt auf jeden Fall wieder. Wir werden sehen, wie sich alles entwickelt. Also, wir machen wieder was, zunächst mal draußen, möglichst draußen. Wir sind wieder irgendwie da. Es gibt eine E-Mail-Adresse natürlich. Es gibt eine Telefonnummer. Eine von uns hat das Telefon immer bei sich. Es gibt Kontaktmöglichkeiten, aber es ist natürlich ein Unterschied. Und viele haben uns sicher trotzdem nicht erreicht, das muss man einfach klar sagen.
Trotz Corona: Regel bleibt Regel
Jetzt in der Corona-Pandemie, viele hatten ja in der Gastronomie gearbeitet und man weiß ja, wie das da geworden ist. Manche haben Kurzarbeit gehabt, aber wenn man schon wenig verdient und dann noch in Kurzarbeit ist, bleibt nicht mehr viel. Manche haben ihre Stellen verloren, und dann war das auch ganz schwierig. Natürlich brauchten sie dann irgendwo anders Geld her. Aber wenn sie arbeiten und verdienen, müssen sie ihre Miete auch in den Heimen bezahlen, die ist nicht wenig. Ich glaube, ein Bett kostet 350 Euro oder so. Egal, ob man jetzt mit mehreren im Zimmer ist oder nicht. Und diese Miete blieb bestehen. Da gab es auch furchtbare Sachen, wo einfach die Behörden so zäh waren, und man konnte sie nicht erreichen und nicht hingehen. Und keiner hat irgendwie mal gesagt: „Das müssen wir jetzt einfach so machen, weil die Situation so ist, damit wir die Menschen unterstützen können”. Nein! Ja, das ist schon zermürbend. Aber es ist kein Grund für mich aufzuhören. Viele haben ja aufgehört. 2015 oder 16 gab es ja einen Boom an Menschen.
Es war ja auch toll. Ein bisschen davon würde ich mir immer noch wünschen. Und es wundert mich schon manchmal, dass seitdem so viele Ehrenamtliche weggegangen sind. Also, ich hab eine Schwester in [Name einer Stadt], die ist aktiv, immer noch aktiv. Ich kenne viele Leute, die immer noch aktiv sind, aber manche haben es geschmissen. Das kann ich fast nicht verstehen. Eine Zeit lang haben wir jedenfalls gesagt, wir müssen erst einmal gucken, ob wir noch mal jemanden finden. Aber wir haben dieses Jahr, jetzt in dieser Pandemie-Zeit, viel Zulauf von jungen Leuten, also von Studenten, die ja auch irgendwie ausgebremst waren, die Interesse haben, Leute sprachlich zu begleiten und so.
Auch wer schon gut Deutsch spricht, braucht manchmal Hilfe
Ja, und der Bedarf hat sich auch geändert. Am Anfang war es wirklich so: Dach über den Kopf, anziehen, irgendwie versorgen, dass die irgendwie wissen, wo müssen sie hin oder so – so, die ersten grundlegenden Dinge. Aber dann hat es sich natürlich ausdifferenziert, es kamen Sprachkurse hinzu. Manche haben keine bekommen. Einige hatten ja Anspruch darauf. Die Afghanen aber hatten zum Beispiel keinen Anspruch, weil Afghanistan ist ja ein sehr sicheres Herkunftsland. Mal gucken wie lange es das noch bleibt. Jetzt habe ich gerade vorhin eine Nachricht bekommen: Nächste Woche ist wohl wieder eine Abschiebung nach Afghanistan geplant. Da sträubt sich natürlich alles in mir. Ich kann das nicht richtig nachvollziehen.
Und natürlich kamen mit der Zeit auch neue Anforderungen hinzu, also auch Arztbesuche. Ich sage immer wieder, auch wenn Leute gut Deutsch sprechen, es ist manchmal trotzdem dringend nötig, dass jemand mitgeht. Dann sagt die Sprechstundenhilfe zu mir: „Ja, sprechen Sie die Sprache?“ „Nein, ich spreche die Sprache nicht, aber wir können hinterher noch mal gut erklären oder uns noch einmal austauschen.“ Ein Arzt kann sich diese Zeit nicht nehmen, nimmt sich diese Zeit auch nicht. Oder beim Rechtsanwalt oder solche Begleitungen, die sind einfach, finde ich, trotzdem noch nötig, auch wenn die Leute gut in der Sprache sind. Das sind diese Zusammenhänge und auch diese Idee, was kann und was muss man fragen. Die Geflüchteten können die ja nicht haben. Die haben ja nicht diese Vielfalt an Möglichkeiten oder was weiß ich, dieses Durchschauen der Strukturen.
Erfolgsgeschichten auch weitererzählen
Oft kriegt man von Leuten, die nicht so aktiv sind, gesagt: „Man liest immer nur Probleme. Jetzt ist wieder etwas Schlimmes passiert oder es ist jemand abgeschoben worden." Natürlich geht es auch immer wieder darum und man soll das Negative jetzt nicht unter den Teppich kehren, keine Frage. Aber es geht eben auch mal darum zu sagen, vieles gelingt ja. Nicht alles. Natürlich kann es das auch nicht. Aber vieles gelingt, und viele Menschen strengen sich an. Ich finde, das muss man auch mal transportieren. Das heißt nicht, dass man diese Brüche nicht auch mit aufnehmen und sehen muss. Aber es gibt eben auch die andere Seite, dass man einfach mal zeigt, okay, da sind jetzt Leute, die haben Arbeit; die wohnen, die haben eine Ausbildung gemacht und so, also einfach solche Geschichten. Ich habe noch eine iranische Familie, zwei erwachsene Kinder, und die Mutter hat jetzt mit 50 Jahren den Busführerschein gemacht und hat jetzt bei den Stadtwerken eine Stelle angetreten. Sie hat noch Probezeit, es ist sehr schwierig. Ich bin noch nicht sicher, ob sie das hinkriegt, aber sie strengt sich wahnsinnig an, und sie war Fahrlehrerin im Iran. Ich wusste nicht, dass Stadtbusfahren so kompliziert ist. Also, ich kriege es jeden Tag auch erzählt. Es ist echt dramatisch zum Teil, und ich hoffe natürlich sehr, dass sie das schafft und die Probezeit übersteht. Aber ich meine, sie hat sich wahnsinnig angestrengt. Sie hat B2 gemacht, ja, und sie sind auch seit, ich glaube, Anfang 16 hier. Das sind doch Erfolgsgeschichten, finde ich.
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