Die Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V. machen Familiennachzug aus Syrien möglich

In einigen deutschen Bundesländern gibt es sogenannte Landesaufnahmeprogramme. Bei hinreichender finanzieller Absicherung können darüber, in Ergänzung zum regulären Familiennachzug, humanitäre Aufenthaltstitel für einen längerfristigen Aufenthalt in Deutschland für Angehörige aus Syrien (und in Thüringen seit 2023 auch aus Afghanistan) beantragt werden. Dass es dieses Programm gibt, erfuhr die Erzählerin aus einem 2015 im Radio gesendeten Bericht über den Berliner Verein Flüchtlingspaten Syrien e.V.. Daraufhin hat sie zusammen mit anderen Mitstreiter*innen den Verein Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V. aufgebaut. Dieser organisiert den erweiterten Familiennachzug im Rahmen der Landesaufnahmeordnung über Spendengelder und hat so bisher über 35 Syrerinnen und Syrern eine Einreise nach Thüringen ermöglicht.

Ort und Datum des Interviews: Jena, 26.08.2021

Wow, das gibt es in Thüringen!

Der direkte Impuls war eigentlich, dass ich einen langen Bericht gehört hatte im Deutschlandfunk über den in Berlin ansässigen Verein Flüchtlingspaten Syrien. Der Verein hatte ein legales Schlupfloch gesucht und gefunden, um Verwandte aus dem weiteren Familienkreis hier nach Deutschland zu holen, also namentlich nach Berlin. Personen also, die man über den regulären Familiennachzug nicht holen kann, zum Beispiel alte Eltern, Volljährige oder auch Geschwister, denen z.B. der Militäreinsatz droht. Daran erinnere ich mich sehr genau, wie ich damals bei uns in der Küche saß und diesen Beitrag gehört habe und dachte: ‚Kann das denn sein, dass es so ein legales Schlupfloch gibt, wo es für viele so existenziell schwierig ist, nach Europa und nach Deutschland zu kommen?‘ Und all das vor dem Hintergrund der Bilder von den kenternden Booten und ertrinkenden Menschen und dieser unglaublichen existenziellen Notlage, in der sich so viele befanden und versuchten, hierher zu kommen.

Ich war vorher überhaupt kein bisschen zivilgesellschaftlich engagiert

Gründungsvorstand 2016 (Bild: Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V.)

Ich habe dann angefangen, mich mit den Berliner Flüchtlingspaten zu beschäftigen, und deren Arbeit auch unterstützt. Ich war vorher so gut wie überhaupt nicht zivilgesellschaftlich engagiert. Und dann hat mich das wirklich gefuchst, dass ich mir dachte: ‚Mensch, wenn das hier geht‘. Und die Berliner Flüchtlingspaten sind ein ganz engagierter Verein. Es ist ihnen mittlerweile gelungen, glaube ich, über 300 Personen über dieses Landesaufnahmeprogramm nach Berlin zu bringen. Das fand ich so schlagend irgendwie, das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und ein bereits in der Geflüchtetenarbeit engagierter Kollege hat in seinen Netzwerken rumgefragt, und dann gab es ein erstes Informationstreffen eines Kreises von Personen, die hinterher zu den Gründern und Gründerinnen des Vereins gehörten. Und im März 2016 ist es dann zur Gründung von Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V. gekommen. Damals wusste ich kein bisschen, wie so ein Verein funktioniert, aber zum Glück wussten das andere, die da Mitgründerinnen und Mitgründer waren. Und dann verging einige Zeit, bis wir dann ins Vereinsregister eingetragen wurden und eine Gründungsversammlung hatten.

Thüringen ist ein anderes Pflaster als Berlin

Vertreterinnen der Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V. am Vereinsstand beim Tag der offenen Tür im Erfurter Landtag 2019 (Bild: Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V.)

Zunächst haben wir erst einmal versucht, Spender und Spenderinnen und Verpflichtungsgebende zu suchen, und das war und ist gar nicht so leicht. Das haben wir ziemlich schnell gemerkt, dass hier ein anderes Pflaster ist im Bundesland Thüringen als in Berlin. Hier war es schwieriger, fand ich, das alles auf die Beine zu stellen. Und wir hatten uns nach dem Muster der Berliner auch vorgenommen, dass wir erst anfangen, Anträge zu stellen, wenn wir wirklich sicherstellen können, dass wir den Lebensunterhalt monatlich tragen können. Und wir haben dann sehr großzügig, wie die Berliner das auch gemacht haben, berechnet, dass man so 800 Euro pro Monat und Person braucht. Und dann verpflichtet sich jemand für einen Bruder oder eine Schwester, einen Angehörigen aus dem weiteren Familienkreis sozusagen, aber das sind eigentlich gar nicht zweitgradige Verwandte, nur werden sie eben so über den regulären Familiennachzug gelabelt quasi1. Der basiert auf einer Vorstellung von Kleinfamilie, die vollkommen illusorisch ist.

Die erste Frau, die wir geholt haben

Die erste Person, die über unseren Verein nach Thüringen kommen konnte, war die Schwester von einem hier in Jena lebenden Geflüchteten, der damals den Verein auch mitgegründet hat. Und mit ihm zusammen haben wir dann versucht, ein Netzwerk aufzubauen und Spender und Spenderinnen zu finden. Es ist uns dann ein halbes Jahr später, Ende 2016, gelungen, den ersten Antrag zu stellen und sie kam im Dezember 2016 hierher. Sie ist Umweltingenieurin mit einem Schwerpunkt auf Wassertechnik und hatte in Syrien eigentlich gar keine Chance mehr, diesem Beruf nachzugehen. Nach ihrer Ankunft in Deutschland, ist sie dann relativ schnell nach Bremen gezogen und hat dort einen englischsprachigen Masterstudiengang belegt und mittlerweile abgeschlossen. Toll fand ich es immer dann zu sehen, wie die Wege so sind, ja wie eigensinnig und eigenständig die Biographien verlaufen. Und sie steht jetzt weitgehend schon auf eigenen Füßen. Und der Zweite war der Bruder, unmittelbar vom Militärdienst bedroht, von einem Freund. Er kam im März 2017, er lebt immer noch mit seiner Frau in Jena. Sie ist mittlerweile auch nachgezogen und zwischen unserem Verein und den beiden gibt es einen ganz engen Kontakt.

Ich glaube unser Verein unterscheidet sich von anderen auf Geflüchtetenarbeit bezogenen Vereinen

Am Anfang haben wir uns sehr stark auf dieses Bürokratische und auf das Antragstellen konzentriert, weil das war ja die Grundlage. Ich denke, dass sich unser Verein von anderen auf Geflüchtetenarbeit bezogenen Vereinen dahingehend unterscheidet, dass wir ziemlich viel Bürokratie haben. Es geht eben darum, dieses Geld zu sammeln, aber auch die ganze damit zusammenhängende Bürokratie. Am Anfang war es uns zum Glück nicht klar, dass die Geschäftsführung und der Papierkram, die Verwaltungsarbeit total aufwendig sind, weil man ja sicherstellen muss, dass der Unterhalt jeden Monat überwiesen wird – so ähnlich wie auch bei Personen mit Asylstatus. Wir mussten uns um die Sprachkurse kümmern. Es ist uns auch immer wichtig, dass die Leute möglichst gute Sprachkurse bekommen, und das ist unheimlich viel bürokratischer Aufwand. Das war uns am Anfang nicht klar, zum Glück, und wir haben uns auf diese Antragstellung konzentriert. Und dann ist uns aber bewusst geworden, dass wir unseren Fokus auch mehr auf die Begleitung der Personen vor Ort lenken müssen, und dass es auch hier Personen gibt, die diejenigen, also die Familien, die kommen, dann auch begleiten, so dass quasi ein deutsch-syrisches Netzwerk entsteht.

Wir wollen thüringenweit arbeiten

Stand des Vereins auf einer öffentlichen Veranstaltung in Erfurt 2022 (Bild: Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V.)

Wir sind dann dazu übergegangen, Unterstützerkreise zu gründen. Wenn jetzt zum Beispiel eine Anfrage kommt: Ein volljähriger Mann in Altenburg möchte gern seine alten Eltern nachholen, die sind allein im Kriegsgebiet zurückgeblieben, sind schon 70 Jahre alt und häufig ist es gerade alten Menschen nicht gelungen, über den regulären Familiennachzug hierher zu kommen. Wenn ihre Kinder volljährig waren, sind sie eben zurückgeblieben. Und es gab dann so einen Kreis von Unterstützenden in Altenburg, denen haben wir gesagt: "Okay, ihr seid jetzt ein Unterstützerkreis und ihr kümmert euch quasi eigenständig darum, mit unserer Hilfe, diese Spenden zusammenzubringen‘. Und das war gut. Das hat gut funktioniert. Wir haben jetzt, ich weiß gar nicht wie viele, bestimmt zehn Unterstützerkreise, darunter mehr oder weniger engagierte, solche, denen es schnell gelingt und andere, bei denen es länger dauert. Da sind dann nochmal Engagements entstanden in den Städten, die zum Teil eine Eigendynamik entwickelt haben. Nun gibt es zwar U-Kreise, aber das heißt trotzdem nicht, dass der Verein in der Fläche präsent ist. In Suhl oder in Altenburg kennen den Verein nur diejenigen, die sich auch engagieren. Also ich würde sagen, es gibt regionale Schwerpunkte des Vereins, das sind ganz klar die größeren Städte: Weimar, Erfurt und Jena. In Jena, glaube ich, haben wir auch die meisten Anträge gestellt. Und sonst sind wir aber ganz gut repräsentiert, jedenfalls in kleineren Städten, in denen sich Engagierte finden, wie etwa Altenburg oder Triptis.

Viele Ehrenamtliche und eine hauptamtliche Geschäftsführung

Unter den Gründern und Gründerinnen gab es vornehmlich Personen, die schon in der Geflüchtetenarbeit tätig gewesen sind, teilweise aus einem kirchlichen evangelischen Milieu und so zwischen 40 und 70 Jahre alt, also nicht mehr ganz junge Leute, die schon eher etabliert waren, akademisch meistens, mit einem Studiumshintergrund. Heute ist es nicht mehr derselbe Verein, der er war, als wir uns 2016 gegründet haben. Bei den U-Kreisen ist es ganz unterschiedlich. Also in Weimar gibt es einen U-Kreis, da überwiegt auch ein evangelisches akademisches Milieu. Auch in Erfurt ist das so. Aber dann in Triptis ist es, glaube ich, noch mal anders, je nach Ort. Zum Teil gibt es auch Aktive, die von der AWO kommen, von der Diakonie, die für die Geflüchtetenarbeit in Institutionen zuständig sind, das also auch professionell machen.

Weil wir ja alle in unseren Perspektiven feststecken

Es gibt sieben, acht Personen, die von Anfang an ganz kontinuierlich dabeigeblieben sind und drum herum einen Kreis von eher fluktuierenden Personen, die dazugekommen sind, aber dann auch wieder weggegangen sind. Aber es gab eine ganz große Kontinuität unter denjenigen, die den Verein auch mitgegründet haben. Und nach 2015 haben wir schon gemerkt, dass das Engagement nachgelassen hat. Es war unheimlich schwierig. Die Stimmung hatte sich auch so ein bisschen gedreht. Das Thema ist in den Hintergrund getreten. Und wir hatten keine Zeit, eine richtig professionelle Öffentlichkeitsarbeit zu machen und uns auf diese Art und Weise immer wieder in Erinnerung zu bringen. Es ist uns schwergefallen, tatsächlich neue Leute zu finden. Da hätten wir gerne noch mehr Bewegung drin oder mehr frischen Wind und auch Leute, die uns dann irgendwann ablösen können. Und wen wir auch gefragt haben, es waren alle irgendwie am Limit und konnten es nicht leisten, waren eben stark belastet, auch beruflich oder familiär und so, das ist tatsächlich schwierig gewesen. Das war 2015 anders.

Und wenn es mal nicht funktioniert

In einem Ort gibt es eine Familie, da ist die Schwester gekommen und noch zwei kleinere Jungs. Zu dem Zeitpunkt, als sie kamen, war der eine Junge 15 Jahre alt. Und er ist so ziemlich, sage ich jetzt mal, abgerutscht. Er hatte an der Schule Schlägereien und hatte seine Kontoauszüge und sein sozusagen Einkommen nicht offengelegt. Wir brauchen ja eine bestimmte Dokumentation, ähnlich wie das auch bei Personen mit Asyl-Status ist, also wir lassen uns dokumentieren, was zum Beispiel verdient wird und so, und das funktionierte überhaupt nicht. Das war so eine Familie, bei der wir immer wieder gesagt haben, das funktioniert gar nicht, und uns fragten, was man jetzt machen kann und wie können wir mit ihnen ins Gespräch kommen. Es war aber nur sehr schwer möglich, zu irgendeiner Kooperation zu kommen. Und die Beziehung ist eigentlich darüber auch so ein bisschen zerbrochen, muss man tatsächlich sagen. Es ist eher so eine bürokratische Beziehung, die da noch besteht: sie bekommen den Unterhalt von uns und Punkt. 

Praktische Solidarität

Den Kontakt zwischen Spender*innen und Gelüchteten gestalten die U-Kreise ganz individuell. Es gibt zum Beispiel in Erfurt einen U-Kreis, in dem schickt der U-Kreis-Zuständige immer E-Mails, und berichtet, was passiert ist, wenn zum Beispiel ein Sprachkurs gemacht worden ist oder was sich im Leben der Frau, die hierhergekommen ist, verändert hat, also es gibt so eine Art Rundbrief. Und im U-Kreis-Triptis haben sie ganz engen Kontakt. Der Bruder von derjenigen, die jetzt mit ihren drei Kindern geholt worden ist, lebt auch dort mit im Haus, es ist ein familienähnlicher Zusammenhalt. Der dortige Verantwortliche sagt immer, dass es für die unbegleiteten Minderjährigen eigentlich eine Familienanbindung braucht: "Wieso gelingt das nicht, jeden minderjährigen Geflüchteten hier in eine Familie zu bringen und dann ‚familienähnliche Strukturen aufzubauen‘?" Ja, und er hat eine ganz tolle Vorstellung von praktischer Solidarität, sie kontinuierlich im Alltag zu leben und nicht nur darüber zu reden. Da kann man viel von ihm lernen. Und manchmal geht es eigentlich nur um den Unterhalt. Es kommt auch auf die syrische Familie an, wie sie sich hier einlebt, wie viel Kontakt sie eigentlich haben möchte. Manche sind sehr selbständig und möchten ihren eigenen Weg auch gehen und gar nicht so viel Kontakt haben. Manche orientieren sich dann auch schnell beruflich, machen ihre Sprachkurse in blitzartiger Geschwindigkeit und gehen dann ihren eigenen Weg. Und dann muss ein so enger Kontakt zum Verein eigentlich nicht mehr unbedingt bestehen. Aber wenn er nötig ist, ist es schon wichtig, dass jemand dann auch als Ansprechpartner da ist.

Internetlink: https://thueringer-fluechtlingspaten.de/ 

Erläuterungen

Der reguläre Familiennachzug von Angehörigen aus Drittstaaten ist im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) geregelt. Grundsätzlich ist er auf die sogenannte Kernfamilie beschränkt und umfasst laut AufenthG nur Ehegatt*innen sowie minderjährige Kinder von Erwachsenen oder die Eltern von Minderjährigen.